Covid: Was tun gegen die Armut?
Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nehmen zunehmend dramatische Ausmaße an: In Indien und Venezuela grassiert der Hunger. Weltweit haben Menschen infolge von Lockdowns und verminderter Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ihre Einnahmen verloren. Die Prognosen der Weltbank sehen entsprechend düster aus. Europas Presse spiegelt die Probleme und diskutiert Lösungen.
Bis zu 150 Millionen werden extrem verarmen
Jurnalul National skizziert die aktuellen Prognosen nach:
„Zum ersten Mal seit über 20 Jahren wird die extreme Armut auf der Welt im Jahr 2020 wachsen. Die durch das Coronavirus verursachte Störung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens hat die negativen Effekte der globalen Konflikte und des Klimawandels verstärkt und bremst zugleich den Prozess der Armutsbekämpfung ab. Nach Schätzung der Weltbank werden allein in diesem Jahr zwischen 88 und 115 Millionen Menschen neu von extremer Armut betroffen sein. Bis 2021 werden es bis zu 150 Millionen Menschen sein, abhängig von der Schwere des wirtschaftlichen Abschwungs. … Der Fortschritt ist nicht garantiert, die Krankheit aber ist global, und tötet nicht nur Menschenleben, sondern auch Firmen, Geschäfte und den Wohlstand von Nationen.“
Noch mehr Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt
Während ein Teil der Werktätigen von der Corona-Krise unberührt blieb oder sogar davon profitierte, hat ein anderer seine Existenzgrundlage verloren, klagt The Irish Times:
„Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie tief die Spaltungen in unserer Gesellschaft gehen. Es gibt einen Wirtschaftssektor, in dem die Menschen online und einigermaßen sicher arbeiten können. ... Doch es gibt auch einen anderen Wirtschaftssektor, in dem die Menschen öffentliche Verkehrsmittel benutzen und körperliche Arbeit leisten müssen, die sie einer Gefahr aussetzt. Viele in diesem zweiten Sektor haben ihre Arbeit verloren, in Irland waren es 300.000 Menschen. Das Virus verschärft die Ungleichheit und beschleunigt ein Auseinanderklaffen, das schon vor Covid eine latente Bedrohung für die Lebensfähigkeit unseres Staates darstellte.“
Bewährtes Mittel der Nachkriegszeit nutzen
Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty schlägt in Le Monde Sondersteuern für Reiche vor:
„Wie werden die Staaten mit den Schuldenbergen umgehen, die durch die Krise aufgrund von Covid-19 entstanden sind? Für viele ist die Antwort klar: Die Zentralbanken werden immer mehr Schulden in ihre Bilanz aufnehmen, um alles zu begleichen. Doch es ist komplexer. ... Früher oder später wird man die Reichen zur Kasse bitten müssen. ... Die gesamte Geschichte der Staatsverschuldung zeigt: Geld allein kann eine friedliche Lösung für ein Problem dieser Größenordnung nicht bieten, da in der Folge die Verteilung immer unkontrolliert ist. Durch den Rückgriff auf Sondersteuern für die Bessergestellten wurden die hohen Staatsschulden der Nachkriegszeit getilgt und der soziale und produktive Pakt der folgenden Jahrzehnte gesichert. Man kann darauf setzen, dass dies auch in Zukunft so sein wird.“
Piketty will zu verheerendem Sozialismus zurück
Eine derartige Besteuerung der Reichen hätte desaströse Folgen, wirft Bloggerin Nathalie MP Piketty in Contrepoints vor:
„Die Covid-19-Schulden dienen ihm lediglich als weitere Gelegenheit, seine Thesen zur Bekämpfung der Ungleichheiten auf der Welt darzulegen. Das ist eine sehr 'soziale und solidarische' Sorge, die besonders dem französischen Denken entspricht. Dieses Denken nährt eine wahre Leidenschaft für die Gleichheit, wenn nicht sogar Gleichmacherei, selbst wenn dies durch eine trügerische und verheerende Nivellierung nach unten erreicht wird. … Man muss [laut Piketty] den Kapitalismus beseitigen und zum guten alten Sozialismus zurückkehren, der seine sprichwörtliche rosige Zukunft jedoch in wirtschaftlicher Misere und politischer Repression überall dort zerrinnen sah, wo er umgesetzt wurde.“
Wer reich ist, kann Covid leichter überstehen
In vielen Ländern zeigt die Corona-Krise, wie ungleich der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist, beobachtet Redakteurin Zuzanna Dąbrowska in Rzeczpospolita:
„Der Kontrast zwischen dem mächtigen und schwindelerregend reichen Trump und denen, die in Wohnmobilen ohne Krankenversicherung leben, ist drastisch. In Polen können die wachsende Zahl der Todesfälle aufgrund von Covid-19 und der Mangel an Beatmungsgeräten sowie der Mangel an Remdesivir ebenfalls Fragen nach einem gleichberechtigten Zugang zu Medikamenten und lebensrettenden Geräten aufwerfen. Und ich glaube nicht, dass die Abgeordneten, auch die der rechten Partei Konfederacja, Probleme mit dem Zugang haben werden.“
Diese Rezession trifft Frauen härter
Frauen sind vom coronabedingten Abschwung härter betroffen als Männer, analysiert The Irish Times:
„Rezessionen haben früher meist Männer härter getroffen, weil Bau und verarbeitendes Gewerbe oft erste Opfer sind. Doch der aktuelle wirtschaftliche Einbruch hat vor allem Bereiche getroffen, in denen mehr Frauen arbeiten, etwa Einzelhandel und Gastgewerbe. Dieser geschlechtsspezifische Aspekt der Rezession wird noch dadurch verstärkt, dass Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen wurden.“
Wohlstand lässt sich nicht nur am Geld bemessen
Dass beim Kampf gegen die Krise wieder einmal allein auf das Bruttoinlandsprodukt geachtet wird, ärgert den Journalisten Marco Schwartz in eldiario.es:
„Anlässlich der Finanzkrise von 2008 beauftragte der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine von den Nobelpreisträgern Joseph Stiglitz und Amartya Sen geleitete Expertenkommission mit dem hehren Ziel der 'Neugründung des Kapitalismus'. Er gab den beiden Ökonomen die konkrete Mission, ein anderes Instrument als das BIP zu schaffen, um den Erfolg der Politik zu messen, weil man davon ausging, dass der alte Indikator die Bedürfnisse der Bürger nicht angemessen widerspiegelt. ... Ich weiß nicht, wie viel Geld der französische Staat für die Arbeit bezahlt hat. Aber ich bin mir sicher, dass der bejubelte Bericht ungestört den Schlaf der Gerechten schläft.“