Muss Europa vor der Inflation zittern?
In den USA ist die Teuerungsrate im April auf 4,2 Prozent gestiegen und auch in Europa ziehen die Preise an. Angetrieben wird die Inflation im Euroraum unter anderem von den wachsenden Wirtschaften Chinas und der USA und dem damit verbundenen Ölpreisanstieg. Doch nicht für alle Kommentatoren ist dies ein Grund zur Sorge.
Zurück zur Normalität
Als positives Signal einer sich normalisierenden Lage interpretiert der Ökonom Emil Harsev in 24 Chasa die Preissteigerung:
„Die Pandemie hat die Wirtschaft in ein künstliches Koma versetzt. Da sie zu den üblichen Preisen nicht mehr verkaufen konnten, haben die Unternehmen auf Gewinne verzichtet und die Preise gesenkt, um zu überleben. Das ist Deflation. Da die Wirtschaft nun anfängt, aus dem künstlichen Koma des Lockdown aufzuwachen, stabilisieren sich die Preise wieder. Das sieht aus wie Inflation, doch in der Wirtschaftswissenschaft wird seit langem darüber gestritten, ob man diesen Prozess überhaupt so nennen kann. ... Was tatsächlich passiert, ist das Erwachen der Wirtschaft, ein Gesundungsprozess, der mit einem Anstieg der Preise verbunden ist, weil sie zuvor durch wirtschaftsfremde Faktoren unterdrückt wurden.“
Vorsicht vor dem Galopp
Der Aufschwung nach der Krise ist mit Vorsicht zu genießen, mahnt hingegen Keskisuomalainen:
„Der sich abzeichnende Wirtschaftsboom kann auch eine Kehrseite haben. Wegen des von den Zentralbanken in den USA und Europa jahrelang in die Märkte gepumpten Geldes könnte die Inflation stark ansteigen. … Der Preisanstieg vieler Rohstoffe und Materialien liegt jetzt schon im zweistelligen Bereich, teilweise hat er sich sogar vervielfacht. ... Das ist eine wirkliche Bedrohung für das Wirtschaftswachstum der nächsten Jahre. Falls die Inflation zu galoppieren beginnt, steigen die Zinsen. Das wäre ein schwerer Schlag für Schuldner. Sollten die Zentralbanken die Zinsen dann künstlich niedrig halten, würde der Finanzmarkt einfrieren, da in Zeiten hoher Inflation niemand Geld zu niedrigen Zinsen verleihen würde.“
Ernährungssouveränität verteidigen
Angesichts steigender Lebensmittelpreise sollte sich Frankreich ein Beispiel an Argentinien nehmen, das Fleischexporte untersagt, um den Preis im Inland zu drücken, fordert L'Humanité:
„Da es für die französischen Viehzüchter immer schwieriger wird, von ihrem Beruf zu leben, insbesondere aufgrund der Freihandelsabkommen, die die EU-Kommission ständig mit Drittländern aushandelt, muss die Ernährungssouveränität in einem Land wie Frankreich verteidigt werden, wie es derzeit in Argentinien geschieht. Dies setzt voraus, dass den Landwirten und Landwirtinnen, die unsere Lebensmittel herstellen, eine angemessene Bezahlung gewährt wird. Wir wissen jedoch, dass Sozial-, Steuer- und Umweltdumping permanent stattfinden, auch innerhalb der Europäischen Union.“
Verschuldete Familien sind die Leidtragenden
Ungarns Nationalbank hat die Erhöhung des Leitzinses angekündigt, um die Inflation zu bremsen. Népszava warnt vor negativen Folgen:
„Die Auswirkungen werden bei den verschuldeten Unternehmen und Haushalten sehr schnell spürbar, denn die Bankkredite mit variablem Zinssatz werden teurer werden. Zusammen mit dem Kreditmoratorium [das den Kreditnehmern ermöglicht, die Rückzahlungen aufzuschieben, die Kredite aber auch verteuert] kann dies bei vielen Familien sogar zu ernsten finanziellen Schwierigkeiten führen.“