Uber-Files: Braucht Europa neue Lobby-Regeln?
The Guardian wurden Tausende vertrauliche Dokumente zugespielt, die intensive Lobbying-Geschäftspraktiken des Unternehmens Uber während der Jahre 2013 bis 2017 dokumentieren. Die Auswertung der E-Mails und Chatnachrichten durch ein internationales Team von Journalistinnen und Journalisten ergab unter anderem, dass Entscheidungsträger umgarnt und Daten vor Ermittlern versteckt wurden. Europas Presse diskutiert über stärkere Regulierung und Innovationsbereitschaft.
Regulierung zum Wohle aller
The Guardian meint:
„Digitale Technologien können unser Leben reicher, unterhaltsamer und würdevoller gestalten. Angemessen reguliert können sie unsere Demokratie stärken und unsere Freiheiten vergrößern. ... Die große politische Aufgabe in den nächsten Jahrzehnten sollte es sein, die Stärke der Technologie zum Wohl der Menschheit einzusetzen und nicht nur zum Nutzen derjenigen, die das Glück haben, sie zu besitzen oder zu kontrollieren. ... Wir brauchen eine politische Führung, die es wagt, neue Technologien zu begrüßen, die klug genug ist, um deren Grenzen zu erkennen, kreativ genug, um sich alternative Regulierungsmöglichkeiten auszudenken und mutig genug, um ein Machtwort zu sprechen.“
Moralisch durchgefallen
Ex-EU-Kommissarin Neelie Kroes hat auch heimlich für das US-Unternehmen Einfluss genommen - auf ethisch fragwürdige Art, urteilt De Volkskrant:
„Lobbying an sich ist nicht falsch, solange es transparent geschieht. Und solange die Chancen auf Erfolg nicht davon abhängen, wessen Portemonnaie dick genug ist, um ein paar einflussreiche Alt-Politiker und ihr Netzwerk einzuspannen. Genau das ist hier [aber] geschehen. ... Am liebsten hätte sie [Kroes] dort gearbeitet, aber das wurde ihr wiederholt von der Europäischen Kommission verboten. Also machte sie es im Verborgenen. “
Rumänien: Gleich beim Finanzamt eingedrungen
Libertatea wirft einen Blick auf die Aktivitäten von Uber in Rumänien:
„In Rumänien braucht man nicht viele Unterlagen, um zu wissen, dass etwas gewiss nicht in Ordnung ist. Die Tochter von [Gelu Diaconu,] dem Chef der Nationalen Agentur für Finanzverwaltung ANAF [deren regionale Direktionen die Buchhaltung von Unternehmen auf Herz und Nieren überprüfen], wurde damals von Uber als Regionalchefin ernannt! Damit war es dem Unternehmen, das damals mit ganz Europa und all unseren Steuerbehörden um die Gesetzgebung kämpfte, bei uns gelungen, direkt in die ANAF einzudringen. ... Die gute Nachricht ist, dass die rumänische Polizei in dem Fall damals enorm ernst ermittelt hat - ein Leiter klagte darüber, dass man sogar verdeckte Polizisten bei Uber eingestellt hatte.“
Taxigewerbe kann einiges von Uber lernen
Uber hat den Personentransport revolutioniert, meint Der Standard:
„Diese App hat den Vorteil bargeldloser Bezahlung und diverser Funktionen, wie etwa eine Bewertung der Fahrer nach Höflichkeit, Fahrverhalten und Einhaltung der Covid-Vorschriften. Das hat positive Auswirkungen auf die Kundenfreundlichkeit. … Unter dem Strich hat es das Taxigewerbe verabsäumt, ebenfalls eine kundenfreundliche App zu entwickeln ... . Die Attraktivität von Uber und Co beruhte sicher auf einem 'kapitalistischen' Modell – wobei viele Migranten und Asylwerber so Arbeit fanden –, aber mehr noch auf Modernität. Das alteingesessene Taxigewerbe hingegen vertraute nur auf das Modell 'politischer Einfluss'. Offenbar erfolgreicher als Uber.“
Behörden gegen Mafia-Kapitalismus stärken
Politiken fordert, die Macht der neuen Superkonzerne ernst zu nehmen:
„Phänomene wie Alibaba und Amazon haben uns billigere Bücher und Waren beschert, aber auch Giganten geschaffen, die allzu oft Arbeitsrechte, Verbraucherschutz und Steuervorschriften über den Haufen werfen. Phänomene wie Facebook und Twitter haben unsere Demokratien erschüttert. Verantwortung und Aufgabe der Politik ist es, die Entwicklung mit gleichem Blick für Erneuerungsbedarf und Gemeinschaftssinn zu steuern. Bitte keine unheiligen und versteckten Allianzen. Aber gerne starke Behörden und Aufsicht. ... Die Uber-Enthüllungen zeigen, womit wir es manchmal zu tun haben: einem verrohten Mafia-Kapitalismus.“
Mehr Transparenz, bitte!
Lobbyismus an sich ist nicht das Problem, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Es kann durchaus sinnvoll sein, dass diejenigen Interessenvertretungen, deren Branchenbedingungen von einem neuen Gesetz maßgeblich beeinflusst werden, ihre Expertise einbringen. Frag jemanden, der davon Ahnung hat: Wer wüsste nicht, dass das eigentlich eine gute Idee ist. Das Problem ist, dass man immer noch nicht genau genug erfährt, wer wann mit wem worüber gesprochen hat. ... Das Lobbyregister hierzulande, so wünschen es sich SPD und Grüne, soll nachgebessert werden, Gesetze sollen einen 'Fußbadruck' erhalten, der klar erkennen lässt, welche Interessengruppen daran mitgearbeitet haben. Wäre Transparenz ein Uber-Auto, die App würde anzeigen: Das Ziel ist noch nicht erreicht.“
Gesetzlose Lobbyarbeit mit Macrons Hilfe
Stelios Kouloglou, EU-Abgeordnete für Syriza, geht mit dem damaligen französischen Wirtschaftsminister Macron in TVXS hart ins Gericht:
„Der derzeitige französische Präsident hat verdeckt gearbeitet und sich für die Verabschiedung von Gesetzen zugunsten eines Privatunternehmens eingesetzt! Die Praktiken einer parlamentarischen Bananenrepublik, bei denen ein privates Unternehmen die Gesetze des Parlaments entwirft, werden von entsprechenden Verhaltensweisen begleitet. Das Unternehmen bedrohte seine Gegner und kümmerte sich nicht um die Einhaltung der Gesetze.“
Es gibt keinen Skandal
Macron hat alles richtig gemacht, findet hingegen L'Opinion:
„Der Staatspräsident soll, als er Wirtschaftsminister war, also alles dafür getan haben, die Konkurrenz zu stimulieren, ein Vorrecht zu zerschlagen und ausländische Investoren anzulocken. ... Dafür wurde er nicht bezahlt. Nichts, was er getan hat, scheint in die Zuständigkeit eines Gerichts zu fallen, außer dem Gericht der richtigen Gesinnung, welches von Populisten aller Couleur einberufen wurde, die am Lesen einer journalistischen Recherche Anstoß nehmen, die - welch Überraschung - enthüllt, dass ein Minister, der sich um Unternehmen und Arbeit kümmert, Kontakte zu Unternehmen haben und sogar - großer Gott - mit ausländischen Bossen verhandeln kann.“
Klare Regeln für Parlamentarier
Postimees verlangt, dass die Lobby-Regeln, die in Estland seit 2021 für Beamte gelten, auf alle Abgeordneten ausgeweitet werden:
„Der einflussreichste Fürsprecher für Ubers Interessen war das Parlamentsmitglied Kalle Palling, einer der engsten Ratgeber des damaligen Premierministers Taavi Rõivas. Bei dem Fall Uber ist klar sichtbar, wie die Lobby-Arbeit durch Parlamentarier geht und das ist bei weitem kein Einzelfall. ... Der Fall Uber, aber auch der Fall Bolt [estnisches Mobilitätsunternehmen] bestätigen wieder, dass die Lobby-Arbeit auch bei den Parlamentsmitgliedern geregelt werden muss.“