Frankreich: Regierung vor dem Sturz?

Frankreich steckt in einer Regierungskrise: Nachdem Premier Michel Barnier einen Teil des Haushalts am Parlament vorbei durchgesetzt hat, haben die linken Oppositionsparteien und das rechtspopulistische Rassemblement National (RN) Misstrauensanträge eingereicht. Die Abstimmung darüber könnte am Mittwoch stattfinden. Kommentatoren schreiben mehreren Akteuren Verantwortung für die Lage zu.

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In (GR) /

Eindämmung hat nicht funktioniert

Frankreichs Präsident hat kurzsichtig gehandelt, schreibt das Webportal In:

„In dem Maße, in dem Macron sich dafür entschieden hat, keine Regierung rund um die Nouveau Front populaire zu bilden, die linke Koalition, die die meisten Abgeordnetensitze gewonnen hat, beruht Barniers Regierung auf der Duldung des Rassemblement National. Das heißt, die Entscheidungen Macrons – der Parlamentswahlen ausrief, angeblich um auf das beeindruckende Abschneiden der extremen Rechten bei den Europawahlen zu reagieren – machten die extreme Rechte im Wesentlichen zum Regulator der politischen Entwicklungen. ... Was für die extreme Rechte sehr praktisch ist, denn gleichzeitig kann sie sich auf die Präsidentschaftswahlen 2027 vorbereiten, während sie ihren Anhängern mitteilt, dass es dank ihres Drucks zu konkreten Ergebnissen gekommen sei.“

Le Figaro (FR) /

Le Pen stürzt das Land in Schwarzes Loch

Die ehemalige RN-Chefin verhält sich verantwortungslos, kritisiert Le Figaro:

„Die Patronin des RN wollte immer mehr, auf die Gefahr hin, sich ihren Sieg zu vermiesen. Sie hat beschlossen, die Regierung von Michel Barnier zu Fall zu bringen. Sie wird Frankreich in große politische und finanzielle Ungewissheit stürzen. Sie setzt die Einkommensschwächsten den mechanischen Effekten eines Behelfshaushalts aus. Sie öffnet den Sozialisten einen Türspalt zum Amt des Regierungschefs, was ihre Wählerschaft nicht begeistern dürfte. … Wir brauchen einen Haushalt und etwas Stabilität. Marine Le Pen hat abenteuerliche Brüche den Vorteilen der ruhigen Kraft vorgezogen. Sie hat ihre roten Linien vervielfacht auf die Gefahr hin, Frankreich in ein Schwarzes Loch zu stürzen.“

Libération (FR) /

Botschaft der Wähler nicht vergessen

Libération warnt vor weiteren Zugeständnissen Barniers an die Rechtspopulisten:

„Michel Barnier scheint zu vergessen, dass er nur aufgrund eines ganz bestimmten Ergebnisses bei den Parlamentswahlen im Juli im Matignon sitzt. Und was war die wichtigste Botschaft dieser Wahlen? Die massive Ablehnung einer Regierung mit dem RN. … Im Rahmen einer beeindruckenden 'republikanischen Front‘ stimmten Millionen von Wählern der Linken für rechte Kandidaten und Millionen von Wählern der Rechten für linke Kandidaten. Der Chef der schwachen Mehrheit sollte sich daher, wie versprochen, um die Meinung der Linken kümmern, um Mehrheiten für seine Vorlagen zu erhalten, anstatt sich dem RN zu beugen.“

La Stampa (IT) /

Das könnte kaltes Kalkül sein

Die Galionsfigur des Rassemblement National könnte ganz persönliche Gründe für ihr Vorgehen haben und auf vorgezogene Präsidentschaftswahlen setzen, mutmaßt La Stampa:

„Marine Le Pen wird beschuldigt, Gelder des Europäischen Parlaments veruntreut zu haben, und muss mit einer fünfjährigen Haftstrafe und einer fünfjährigen Sperre [dem Ausschluss vom passiven Wahlrecht] rechnen. Das Urteil wird für das Frühjahr erwartet und könnte sie daran hindern, bei den Präsidentschaftswahlen 2027 zu kandidieren. Indem sie eine Parlamentskrise provoziert und die Bildung einer neuen Regierung verhindert, könnte sie hoffen, eine Staatskrise zu provozieren (Emmanuel Macron kann das Parlament nicht vor Juni nächsten Jahres auflösen), indem sie den Rücktritt des derzeitigen Staatschefs und die Einberufung einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl in den kommenden Monaten fordert.“

La Repubblica (IT) /

Die Moral von der Geschichte

Macron hat sich das Dilemma selbst zuzuschreiben, findet La Repubblica:

„Vielleicht, wenn es erlaubt ist, in solch dramatischen Momenten eine Moral zu ziehen, hat sich sein Übermaß an programmatischem Europäismus, gepaart mit einem Mangel an pragmatischem Europäismus, letztlich gegen ihn gekehrt. Wenn es ihm gelungen wäre, wenigstens einen Teil der angekündigten Projekte zu verwirklichen, wenn er es wirklich gewagt hätte, die militärische und nukleare Vormachtstellung, die er in Europa innehat, mit seinen Verbündeten zu teilen, wären Frankreich und Europa selbst heute nicht in diesem miserablen Zustand.“