Bundestagsmehrheit mit Hilfe der AfD: Was heißt das?

Die Mehrheit des Bundestags hat am Mittwoch einem rechtlich nicht bindenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verschärfung der Migrationspolitik zugestimmt. So sollen unter anderem dauerhafte Kontrollen an den deutschen Grenzen eingeführt werden. Über die Abstimmung wurde heftig gestritten, da die Mehrheit durch die Ja-Stimmen der aktuell vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften AfD zustande kam. Europas Presse ordnet ein.

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Stuttgarter Zeitung (DE) /

Das wird Folgen haben

Dass diese Mehrheit zustande gekommen ist, wird dauerhaft Spuren im politischen System hinterlassen, glaubt die Stuttgarter Zeitung:

„Die Republik hat sich an diesem Tag derart verändert, dass sich Historiker noch damit beschäftigen werden. Wer die Tür zur Zusammenarbeit auch nur einen Spalt weit aufmacht, muss befürchten, dass sie irgendwann kraftvoll aufgestoßen wird. Die in Teilen rechtsextreme AfD konnte sich nie so mächtig fühlen wie in dieser Woche. Das hat dauerhaft politische Folgen – nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund.“

tagesschau.de (DE) /

EU-Recht ist veränderbar

Tagesschau.de empfiehlt mehr Pragmatismus:

„'Brandmauer'-Debatten ... werden außerhalb der politischen Blasen kaum verstanden. ... Wenn Redner von Rot-Grün wie Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck die Bedeutung der Debatte für die Demokratie hervorheben, haben sie Recht. Nur anders, als gedacht: Wer immer nur sagt, was nicht geht, der erzeugt Unzufriedenheit, der sorgt für Demokratieverdrossenheit. Das EU-Recht beispielsweise, das vielfach angeführt wird, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern von Politikern so beschlossen worden. Es kann also auch wieder geändert werden. Und das ist die Erwartung der großen Mehrheit der Menschen im Land.“

La Repubblica (IT) /

Vielleicht auch eine Reaktion auf Musk

La Repubblica sieht eine traurige Kehrtwende in Deutschland:

„Mit diesem Schritt bricht der wahrscheinlich künftige deutsche Bundeskanzler ein Tabu, das nur noch in Deutschland galt – aus offensichtlichen historischen Gründen. Es ist die Auslöschung des gesündesten Erbes aus der langen Ära von Angela Merkel, Merz' großer Rivalin, die sich immer an den Imperativ 'Niemals mit der AfD' gehalten hatte. Es wirkt zugleich so, als ob sich der Chef der Konservativen vor dem neuen Trump-Gehilfen Elon Musk verbeugen will, der noch vor zwei Tagen im Zusammenhang mit einer Alice-Weidel-Kundgebung gebrüllt hatte, die Deutschen müssten aufhören, sich für ihre Vergangenheit zu schämen.“

Aargauer Zeitung (CH) /

Rückkehr zur Normalität

Die Aargauer Zeitung findet Merz' Vorschläge vernünftig:

„Eine Umsetzung von Merz’ Vorstellungen würde eine Rückkehr zur europäischen Normalität bedeuten: Zu einer verantwortungsvollen Asylpolitik, wie sie auch die Bundesrepublik betrieben hatte, bevor Angela Merkel die Grenzen öffnete. Wollen sie den weiteren Aufstieg der AfD stoppen, werden die übrigen Parteien um Verschärfungen bei der Asylpolitik nicht herumkommen. Auf die Grünen wird Merz auch in Zukunft kaum zählen können: Sie fordern selbst jetzt noch Erleichterungen beim Familiennachzug und erweisen sich damit als migrationspolitische Geisterfahrer. So muss Merz wohl darauf hoffen, dass bei der SPD nach der Wahl Realismus einkehrt.“

Le Soir (BE) /

Lehren der Geschichte mit Füßen getreten

Le Soir warnt:

„Die extreme Rechte regiert offiziell in Italien, den Niederlanden, Ungarn, der Slowakei sowie Finnland und könnte in Österreich und Tschechien die Führung übernehmen. Sie gibt der schwedischen und französischen Regierung zum Teil den Weg vor. … Und nun paktiert sie mit dem voraussichtlich künftigen deutschen Regierungschef. Ihr gegenüber geraten viele demokratische Parteien in Panik, versuchen, sie zu imitieren oder mit ihr zusammenzuarbeiten. Anstatt sich zu erheben, Widerstand zu leisten, Grundwerte und Menschenrechte zu verteidigen und Fremdenfeindlichkeit sowie Hass zu bekämpfen. … Wie es uns die Geschichte doch nachdrücklich lehrt – die Geschichte, derer doch viele demokratische Volksvertreter diese Woche noch gedacht haben.“