Gipfel in Paris: Wie weiter umgehen mit KI?

Der KI-Gipfel in Paris ist mit der Ankündigung von Milliardeninvestitionen, aber ohne Abschlusserklärung aller teilnehmenden Staaten zu Ende gegangen. Während US-Vizepräsident J.D. Vance vor einer "exzessiven Regulierung" warnte, warb Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron für einen "Rahmen des Vertrauens", der Privatleben und Autorenrechte garantiere. Kommentatoren analysieren die zu Tage getretenen Konfliktlinien.

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L'Echo (BE) /

Der Alte Kontinent zeigt Zähne

Endlich geht Europa in die Offensive, freut sich L’Echo:

„An den zwei vergangenen Tagen zeigte ein frischer Wind, dass der Alte Kontinent auch die Zähne zeigen kann, wenn er sich bedrängt fühlt. Auf dem KI-Gipfel in Paris wurden Investitionen in Höhe von über 300 Milliarden Euro in den Sektor angekündigt, wovon die Hälfte eine neuartige Allianz aus europäischer Industrie und Tech-Firmen betrifft. So kann Europa erhobenen Hauptes der aufsehenerregenden Ankündigung der Stargate-Initiative in Washington entgegentreten, die von OpenAIgeleitet wird und 500 Milliarden Dollar umfasst. Eine starke europäische Entscheidung zugunsten der neuen Wirtschaft. Das ist zu begrüßen.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Europa darf den Anschluss nicht verpassen

Die USA und China sind führend in der KI-Welt, aber Europa hat noch die Chance, das Beste daraus zu machen, so Hospodářské noviny:

DeepSeek in China zeigt, dass die Dominanz der USA in der neuen Branche möglicherweise nicht so stark ist wie bisher angenommen. ... Allerdings können sich die Europäer nicht wie im Verteidigungsbereich darauf verlassen, dass jemand anderes die Innovations- und Investitionsarbeit für sie erledigt und sie sich hauptsächlich auf die Regulierung konzentrieren können. Ähnlich wie in anderen Branchen, in denen Amerika oder China die Nase vorn haben, ist es höchste Zeit zu handeln. Nicht das Rad neu zu erfinden, sondern es in seine eigene Richtung zu bewegen und ihm nicht mehr Steine in den Weg zu legen als unbedingt nötig.“

Le Quotidien (LU) /

Starke Alternative aufbauen

Das Ziel, eine ethische und nachhaltige KI zu entwickeln, erfordert Realismus bei der Umsetzung, mahnt Le Quotidien:

„Kaum hat diese Revolution begonnen, zeigen sich bereits zahlreiche Missbrauchsformen. Da sind beispielsweise die ungeheuren Deepfakes, die Gesichter in Videos manipulieren. … Die Genies des Silicon Valley sind Experten darin, lokale Gesetze zu umschiffen, wenn es darum geht, ihr Produkt zu verkaufen oder ihre neue Weltanschauung mittels ihrer App (Essenslieferung, E-Commerce …) anzuwenden. Eine 'ethische und nachhaltige' KI zu entwickeln, ist lobenswert. Sie muss sich jedoch neben der der IT-Riesen, für die der Zweck die Mittel heiligt, behaupten können.“

La Libre Belgique (BE) /

Mit elementaren Regeln zum Fortschritt

La Libre Belgique freut sich über die sich abzeichnende Alternative gegenüber den Konzepten der USA und China:

„Ein dritter Weg, wie einige ihn bezeichnen, wo der KI ein Rahmen gesetzt wird, das Privatleben und die Kreativität der Autoren geschützt werden, wo die KI für möglichst viele zugänglich und nützlich, effizient, transparent und kollaborativ ist. ... Dank des Einhaltens dieser elementaren Regeln, kann die KI ein wunderbares Instrument für Fortschritt in so wesentlichen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Energie und Mobilität werden. ... Mehr als je zuvor geht es darum, sich für eine KI, die auf unsere Werte und Interessen abgestimmt ist, einzusetzen und in diese zu investieren.“

NRC (NL) /

Bürger und Business vor Monopolen schützen

NRC warnt Europa davor, im Technik-Rausch den Menschen und seine Interessen zu übergehen:

„Der Schutz der europäischen Bürger vor all zu großem Datenhunger der Tech-Unternehmen war entscheidend in den letzten Jahren. Genauso wie das Verhindern von faktischen Monopolen in Händen von (amerikanischen) Tech-Unternehmen. Dass europäische Tech-Unternehmen die Rede von Vance begrüßten und für das Zurückschrauben einiger KI-Regeln plädieren, macht in dieser Hinsicht Sorgen. ... Europa muss der eigenen Industrie den Raum für Innovation und Entwicklung geben, doch es darf dabei nicht aus den Augen verlieren, für wen die Technologie am Ende einen Wert haben soll: für europäische Bürger und Unternehmen.“

Les Echos (FR) /

Wer zuerst kommt, profitiert

Europa sollte mehr in KI investieren, rät Xavier Jaravel, Professor an der London School of Economics, in Les Echos:

„Die KI-Revolution wird am besten von denjenigen Unternehmen und Ländern gemeistert, denen es gelingt, diese Technologien am schnellsten einzuführen. So steigern sie ihre Marktanteile und schützen die Arbeitsplätze. Das Hauptrisiko besteht also nicht darin, von der KI 'ersetzt' zu werden, sondern vielmehr durch einen Konkurrenten, der die KI im selben Land oder im Ausland einsetzt. Europäische Unternehmen geben jedoch nur knapp 50 Prozent der Beträge aus, die US-amerikanische Unternehmen in die Einführung von KI investieren. Ohne eine beschleunigte Verbreitung von KI in Europa wird sich das Produktivitätsgefälle gegenüber den USA weiter vergrößern.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Besser mehr hinterfragen

Angela Müller, Geschäftsleiterin der NGO Algorithm Watch Schweiz, fordert in einem Gastkommentar für den Tages-Anzeiger ein kritischeres Herangehen gegenüber den großen Techkonzernen:

„Solange wir ihre monopolisierte Technologie und ihre Erzählung, dass wir den ökologischen, sozialen und ökonomischen Preis von immer grösseren KI-Modellen zugunsten eines ungewissen Nutzens in der Zukunft akzeptieren müssen, unhinterfragt übernehmen, wird KI vor allem ihrem illustren Kreis, nicht aber der Menschheit und dem Planeten als Ganzes dienen. … Das Potenzial der Technologie nutzen wir nur dann wirklich, wenn wir ihre Herausforderungen ernsthaft angehen. Dazu gehört auch, den ökologischen Fussabdruck und die Machtkonzentration hinter grossen KI-Modellen in den Fokus zu rücken und so ein innovatives, nachhaltiges und gemeinwohlorientiertes KI-Ökosystem zu ermöglichen.“

La Tribune de Genève (CH) /

Nachhaltiger Kurswechsel vonnöten

Die französische Botschafterin in der Schweiz und Liechtenstein, Marion Paradas, erläutert in La Tribune de Genève die Herausforderungen durch KI auf internationaler Ebene:

„Zunächst muss der Zugang zu KI für möglichst viele Menschen gewährleistet werden. … Dann muss die KI ihren vollen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten. Aktuell verfolgt sie jedoch einen energetisch nicht haltbaren Kurs. Als Reaktion darauf soll eine internationale Allianz aus verschiedenen Akteuren für nachhaltige KI ins Leben gerufen werden, um die Forschung zu den Umweltkosten der KI zu vertiefen, neue Standards zu definieren und die grünen Investitionen zu erhöhen. Schließlich sollten wir gemeinsam ein effizientes und inklusives KI-Governance-System aufbauen.“

Corriere della Sera (IT) /

Ergänzung oder Ersatz unserer Gehirne?

Die Debatte über den Einsatz von KI in der Wirtschaft hat zwei Lager hervorgebracht, erklärt Corriere della Sera:

„Auf der einen Seite steht das konservative Lager, das argumentiert, dass die KI langfristig die menschliche Arbeitskraft ersetzen wird. Diese Partei stützt sich auf die historische Sichtweise, die seit dem Luddismus [Maschinensturm] die Technologie als Hindernis für die volle Entfaltung des Menschen in seinen sozialen und beruflichen Aktivitäten betrachtet. ... Neben dieser pessimistischen Interpretation der Technik gibt es ein modernistisches Lager. Ein Lager, das sich zwar der ethisch-politischen Implikationen der künstlichen Intelligenz bewusst ist, aber dazu neigt, sie aus einer evolutionistischen Perspektive zu interpretieren.“

Eesti Rahvusringhääling (ERR Online) (EE) /

Urheberrechte nicht verschenken

Ein aktuelles Beispiel für einen KI-Konflikt kommt aus Estland: Das Ministerium für Justiz und Digitales hat angekündigt, die Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und weiterer Medien kostenfrei der Sprach-KI von Meta zur Verfügung zu stellen, damit diese ihr Estnisch trainieren kann. Mari-Liis Rüütsalu, Vorstand der Ekspress Mediengruppe, hält dies in ERR Online für den falschen Weg:

„Erstens: Journalistische Inhalte sind geistiges Eigentum, das durch das Urheberrecht geschützt ist. Die Tatsache, dass der ERR-Content mit Steuergeldern erstellt wird, bedeutet nicht, dass er kostenlos an gewinnorientierte Technologieriesen verschenkt werden kann. ... Zweitens sendet der estnische Staat damit in einer Zeit, in der es in den USA und anderen Ländern Klagen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen durch KI-Unternehmen gibt, ein gegenteiliges Signal.“