Was ist die Bilanz der Klimakonferenz in Bonn?
In Bonn geht am heutigen Freitag die Weltklimakonferenz von rund 200 Staaten zu Ende. Streit gab es zuletzt unter anderem darum, wie die Industrieländer künftig ärmere Staaten unterstützen sollen. Die mangelnde Solidarität der reichen Länder kritisieren Kommentatoren scharf und diskutieren kontrovers die Initiative einiger Länder zum Kohleausstieg.
Unschuldige büßen weiter für unseren Überfluss
Enttäuscht von den Ergebnissen aus Bonn zeigt sich Avvenire:
„Es ist die klassische Politik des Messens mit zweierlei Maß. Verbindliche Regeln - hard law - zum Schutz von Unternehmen, freiwillige Regeln - soft law - zum Schutz von Menschen. ... Verbindliche Zusagen werden von den reichen Ländern vermieden, weil sie als implizites Eingeständnis der Schuld an den Umweltschäden gewertet werden könnten. ... Der eigens dafür gegründete Fonds, Green Climate Fund, hat bis heute 54 Projekte genehmigt und 131 Millionen Dollar bereitgestellt. Das ist zu wenig, um zu verhindern, dass weitere Unschuldige für unseren Überfluss büßen müssen. Und zugleich eine klare und skandalöse Bestätigung der Gleichgültigkeit und der Leugnung der Verantwortung, die die Krise und die Ungerechtigkeit noch verschärfen.“
Trotz Trump ein großer Hoffnungsschimmer
Rund 20 Staaten, darunter Kanada und Großbritannien, haben sich in Bonn zu einer Allianz für den Kohleausstieg zusammengeschlossen. Das ist die richtige Antwort auf die Umweltpolitik von Donald Trump, freut sich Corriere del Ticino:
„Wie wenig ernst der derzeitige Bewohner des Weißen Hauses den Notstand der Luftverschmutzung nimmt, hat man auch in Bonn gesehen. Hier hat die US-Regierung eine einzige Diskussionsrunde organisiert, unter einem Titel, der wie Hohn klingt: 'Die Rolle von sauberen und effizienteren fossilen Brennstoffen und von Atomenergie bei der Eindämmung des Klimawandels'. Doch auch wenn Trump sein Ziel erreicht und die Vereinigten Staaten aus den Verpflichtungen des Pariser Abkommens entbunden hat, um die Kohleindustrie in den USA zu fördern, wird der Kampf gegen den Klimawandel fortgesetzt werden. Dies hat die Bonner Konferenz unmissverständlich klar gemacht.“
Kohleausstieg hat eine Kehrseite
Wenig beeindruckt von der Kohleausstiegs-Initiative zeigt sich hingegen die Tageszeitung Die Welt:
„Wortführer Kanada, das sich dank gewaltiger natürlicher Ressourcen zu 60 Prozent aus Wasserkraft versorgen kann, braucht in der Stromproduktion nur zu acht Prozent auf Kohle zurückzugreifen. ... Da fällt der Verzicht leicht ... Als Vorbild taugen die meisten Länder der Anti-Kohle-Allianz auch deshalb nicht, weil sie im Gegensatz zu Deutschland auf einen Atomausstieg verzichtet haben - und sich jetzt umso mehr im Ruf des Klimaretters sonnen können. Das trifft erneut auf Kanada zu, das einige seiner Uraltmeiler in den letzten Jahren fleißig aufpoliert hat. ... Die Kehrseite der Anti-Kohle-Medaille lassen die jubelnden Ökogruppen tunlichst unter den Tisch fallen.“
Ohne Negativ-Emissionen wird es nicht gehen
Viel stärkere Bemühungen bei der Entwicklung von sogenannten Negativ-Emissionen fordert The Economist:
„Das Pariser Klimaabkommen geht davon aus, dass Wege gefunden werden, der Atmosphäre künstlich Kohlendioxid zu entziehen. Denn in jedem realistischen Szenario werden die Treibhausgas-Emissionen nicht schnell genug verringert werden können, um die Gesamtmenge an Kohlendioxid in der Atmosphäre so gering zu halten, dass der Temperaturanstieg erfolgreich begrenzt werden kann. Doch es gibt praktisch keine öffentliche Diskussion darüber, wie diese Negativ-Emissionen erreicht werden können. ... Solange sich das nicht ändert, ist es fast sicher, dass das Versprechen, den Schaden durch den Klimawandel zu begrenzen, gebrochen wird.“
Keine Zeit mehr zu verlieren
15.000 Forscher haben einen Appell unterzeichnet, der am Montag im Fachjournal Bioscience veröffentlicht wurde und Entscheidungsträger zu einem entschlosseneren Kampf gegen die Umweltzerstörung auffordert. Le Monde schließt sich dem Aufruf an:
„Die Verhandlungen werden behindert, weil es an politischem Mut fehlt. Und weil manche fürchten, dass die zu ergreifenden Maßnahmen ihnen zum Nachteil gereichen und diese deshalb beeinflussen. Die im Klimaabkommen von 2015 vereinbarten Verpflichtungen werden einen Temperaturanstieg von drei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit nicht verhindern können. ... Der große Unterschied zwischen 1992 [dem Jahr des ersten großen Appells] und heute besteht darin, dass die Auswirkungen der Umweltzerstörung spürbarer sind, die - abgesehen von einer Gruppe Verantwortungsloser, die in Washington die Macht ergriffen haben - niemand mehr leugnen kann.“
Klimawandel mit neuen Gesetzen stoppen
Das Klimatreffen in Bonn geht in die entscheidende Runde und Berlingske stellt fest, dass es dringend durchgreifender Maßnahmen bedarf:
„Man darf sich nicht von den Segnungen der Technik oder dem Rumpeln des Kapitalismus blenden lassen. Eine bessere Welt wird im Zusammenspiel zwischen Gesetzen und Abkommen auf der einen, sowie Einzelinitiativen auf der anderen Seite geschaffen. … Es besteht kein wissenschaftlicher Zweifel, dass die Menschheit den Planeten verschmutzt und zu seiner Erwärmung und dem Steigen der Wasserspiegel beiträgt. Deshalb haben wir die Pflicht, uns selbst und unsere Nachkommen vor den Folgen in größtmöglichem Umfang zu schützen. Tage des Fleischverzichts und Ferien mit dem Fahrrad sind aber keine wirkungsvollen Lösungen. Unsere Hoffnung ist die fantastische Fähigkeit des Menschen zu Innovationen und neuen Ideen.“
Ein Beispiel an China nehmen
Die Volksrepublik sollte mit ihren Bemühungen, den Klimaschutz voranzutreiben, als Vorbild für andere dienen, findet Financial Times:
„Pekings Ehrgeiz verdient Anerkennung. Nun sind andere Staatsregierungen und angesichts der Pflichtvergessenheit der Trump-Administration auch einzelne Bundesstaaten und NGOs in den USA gefordert, mit entschlosseneren Bemühungen gleichzuziehen. Die Kluft zwischen den nötigen Schadstoff-Reduktionen und dem, wozu sich einzelne Regierungen verpflichtet haben, ist alarmierend groß, wie die Vereinten Nationen festgestellt haben. Je länger die nötigen Anstrengungen zum Schließen dieser Kluft verzögert werden, desto schwieriger wird es, das Ziel zu erreichen.“
EU geht Emissionshandel zu zaghaft an
Die EU hat sich darauf geeinigt, unter anderem die Zertifikate für den europäischen Emissionshandel ab 2021 zu verknappen und damit zu verteuern. Für Dagens Nyheter geht das alles zu langsam:
„Die Klimapolitik weiter zu straffen und zu entwickeln, ist eines der Themen, die die EU dringend angehen muss. Die Einigung vom Donnerstag zum Emissionshandel ist nicht zufriedenstellend. Die geplanten Verschärfungen entsprechen nicht den Zielen, die von dem UN-Abkommen und den Klimaforschern vorgegeben wurden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine alte Idee wiederbelebt und will eine Art Kohlendioxid-Zoll einzuführen. Es gibt dabei praktische, politische und rechtliche Hindernisse, die abschrecken. Aber die EU sollte trotzdem weitere derartige Maßnahmen erwägen und prüfen.“
Wie stark wirken Katastrophenbilder?
Das französische Wirtschaftsblatt Les Echos hat gefordert, Klimasünder öffentlich anzuprangern. Das ist nachvollziehbar, meint Amid Faljaoui, Chefredakteur von Trends-Tendances:
„Die Experten raten im Grunde genommen, dass die Bürger beim Umweltschutz die Macht ergreifen sollten. Die größten Optimisten werden sagen, dass die jüngsten Bilder der Hurrikans in der Karibik einen Vorgeschmack auf das geben, was unsere Enkel erleiden werden, wenn wir nichts tun. In dieser Hinsicht waren die TV-Bilder eine Rettung. Die größten Zyniker werden allerdings sagen, dass die Leute wie Goldfische sind, dass sie kein Erinnerungsvermögen besitzen und schon alles vergessen haben, bevor eine weitere Runde im Glas gedreht ist. Mit anderen Worten: Eine Entrüstung folgt der nächsten - je nach Ausmaß der Empörung in den sozialen Netzwerken. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die zweite Annahme nicht bewahrheitet!“
Wir alle stehen in der Verantwortung
Bürger und Regierungen dürfen nicht länger den Kopf in den Sand stecken und an Gewohnheiten festhalten, mahnt die Autorin Eva-Maria Bachinger in der Wiener Zeitung:
„Wenn es hart auf hart kommt, bleiben wir auf Kurs: Die dritte Flughafenpiste muss gebaut werden, Klimaschutz hin oder her. Der nächste Billigflug ist bereits gebucht, und am Samstag gehen wir wieder ausgiebig shoppen. ... Nur ein paar als romantisch belächelte Naturschützer weinen aussterbenden Tier- und Pflanzenarten eine Träne nach. ... 195 Staaten haben sich beim Pariser Klimagipfel auf das Ziel geeinigt, die Erwärmung durch Maßnahmen auf zwei Grad plus zu begrenzen. Betroffenen Staaten soll finanziell geholfen werden. Sie haben sich auch dazu verpflichtet, klimabedingt Vertriebenen zu helfen. Doch viele Politiker reden von Mauern, die gebaut werden müssten, um die Migration zu stoppen. ... Wissen sie nicht, was in der Welt tatsächlich vorgeht?“
Nicht nur Regierungen kämpfen gegen Klimawandel
Im Kampf gegen den Klimawandel tragen Städte und Unternehmen eine große Verantwortung, betont Helsingin Sanomat:
„Bislang haben 169 Staaten den Vertrag von Paris ratifiziert. Die Entscheidung der USA, sich aus dem Abkommen zurückzuziehen, ist ein Rückschlag, dessen Auswirkungen am deutlichsten bei der Finanzierung der Forschung zu spüren sind. … Doch neben den Staaten haben gerade die Unternehmen und die Städte eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Klimamaßnahmen. Auch in den USA haben viele von ihnen die Verantwortung ernst genommen und begonnen zu handeln. Ein langfristig gewinnbringender Geschäftsbetrieb ist nicht möglich, wenn die Auswirkungen auf die Umwelt nicht berücksichtigt werden. Die Entwicklung in diese Richtung wird auch von den Einstellungen der Verbraucher gesteuert.“
Zerstörer des Planeten öffentlich anprangern
Maßnahmen gegen Klimasünder beschreibt Les Echos:
„Da die Umweltsünder nicht bestraft werden können, sollte die Klimarahmenkonvention langsam endlich alle zur Verantwortung ziehen, indem sie Klimastresstests entwickelt und einfache Tipps für umweltschonendes Verhalten veröffentlicht, so wie es der WWF im Frühjahr für die europäischen Staaten gemacht hat. Es geht darum, es der weltweiten Öffentlichkeit zu erlauben, die Zerstörer des Planeten anzuprangern und nach dem angelsächsischen Prinzip 'name and shame' zu bestrafen. Vielleicht könnte eine Twitter-Kampagne dazu beitragen, das bislang Verborgene transparent zu machen. In Bonn geht es auch darum, dass die Bürger in Sachen Umweltschutz die Macht übernehmen müssen.“
Klima ist noch zu retten
Im Vorfeld des Klimagipfels in Bonn häuften sich Berichte und Reportagen, wie ernst es um die Erderwärmung und ihre Folgen bestellt ist. Doch noch besteht die Chance das Klima zu retten, meint Sydsvenskan:
„Glücklicherweise sieht es bei den Klimaverhandlungen besser aus, als viele befürchtet haben. Als US-Präsident Donald Trump erklärte, dass die USA das Pariser Abkommen nicht befolgen würden, gab es viel Sorge, dass weitere Länder aussteigen könnten. So kam es nicht. Stattdessen kamen weitere Länder hinzu und China – das für den Großteil der Kohlendioxidemissionen steht - zeigt weiter Interesse an einer Führungsrolle. ... Natürlich verläuft der Prozess, der den Klimawandel aufhalten soll, frustrierend langsam. Doch im Allgemeinen glauben die Forscher, dass es möglich ist. Es gibt ganz einfach keine anderen Alternativen.“
Deutschland muss von anderen lernen
Gastgeber Deutschland ist entgegen seinem Selbstbild ein schlechtes Vorbild im Klimaschutz, kritisiert Zeit Online:
„Gerade weil sich die deutschen Politiker, allen voran Angela Merkel, international so fortschrittlich gaben, konnten sie die echte Arbeit zu Hause vernachlässigen. Dazu hätte gehört, eine CO2-freie Energieversorgung kostengünstig zu fördern. Die Kohleregionen umzubauen. Sich standhaft gegenüber den Lobbyisten von Daimler und Co zu geben. ... Bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung kann eine Psychotherapie dem Patienten helfen, einige Verhaltensweisen zu ändern. Aber der Weltklimagipfel wird keine Therapie. Zumindest bietet er die Gelegenheit, von anderen zu lernen: Von den Norwegern und ihrem E-Autoboom, vom Fahrrad-Paradies Dänemark oder den Steuergesetzen in Großbritannien, das klimafreundliche Autos stärker begünstigt als dicke Schlitten.“