Russland, USA, Nato: Weiter auf Konfrontationskurs?
In den Gesprächen zur Ukraine am Montag in Genf haben die Vertreter der USA und Russlands erneut ihre roten Linien aufgezeigt: Moskau besteht unter anderem auf eine Garantie, dass die Ukraine und Georgien nicht der Nato beitreten. Washington insistiert, niemand dürfe die Politik der offenen Tür der Nato stoppen. Europas Presse fragt sich, wie es nun weitergeht - etwa am heutigen Mittwoch beim Treffen des Nato-Russland-Rates.
Großmäulige Weltmacht auf fragiler Wirtschaftsbasis
Echo Moskwy fürchtet, dass Moskau sich mit seiner konfrontativen Politik noch schmerzhafte Sanktionen einhandelt:
„Dann wird sich zeigen, dass eine Großmacht, die seit 20 Jahren unter der weisen Führung eines herausragenden Menschen steht, der Nato Ultimaten stellt und ihr großherzig erlaubt, ihre Siebensachen zu packen und sich ins vergangene Jahrhundert zu verkrümeln - dass also diese Großmacht nichts selbst macht: keine Telefone, keine Computer, keine Geschirrspüler. ... Selbst das, was unter russischen Marken in Russland montiert wird, steckt voller Import-Chips und sonstiger Bauteile. Sogar die geliebten Lada-Autos sind faktisch nicht mehr von uns. In Putins russischer Limousine ist das einzige Russische sein Chauffeur.“
Moskau wird US-Kompromissbereitschaft ausnutzen
Die USA sind nicht mehr bereit, Europas Beschützer zu spielen, analysiert Phileleftheros:
„Sie haben eindeutig China im Visier, das sie als Bedrohung für ihre vitalen Interessen ansehen. Ihr Interesse gilt fast ausschließlich dem ostasiatischen Raum, während Europa und Russland in den Hintergrund treten. Aus diesem Grund könnten sie einige Zugeständnisse machen. Dass US-Beamte erklärten, sie seien bereit, die Stationierung von Raketen in Osteuropa einzuschränken, könnte darauf hindeuten, dass sie nicht bereit sind, im Konflikt mit den Russen bis zum Äußersten zu gehen. Moskau wird dementsprechend handeln. ... Es wird den Bogen in den Verhandlungen bis zum Anschlag spannen.“
Peking wird genau hinsehen
In China, so glaubt der Investmentbanker Serhij Fursa auf gordonua.com, interessiert man sich ganz besonders für die gegenwärtigen Gespräche:
„Der aufmerksamste Beobachter bei diesen Verhandlungen wird China sein. Und der Westen wird China zeigen müssen, dass die USA und andere Länder ihre Verbündeten vor ausgerasteten Gewalttätern schützen können. Denn wenn China sieht, dass der Westen die Ukraine nicht vor Russland schützen kann, wird es erkennen, dass niemand es daran hindern wird, Taiwan einzunehmen. Das kann die Büchse der Pandora öffnen. Und das ist das letzte, was wir brauchen.“
Auf Orbán kann sich Putin verlassen
Ungarn versucht auf zwei Hochzeiten zu tanzen, beobachtet Válasz Online:
„Bezüglich der Verhandlungen stellt sich für Ungarn die Frage, ob das Land weiter balancieren kann zwischen seinem eigenen Verbündetensystem [der EU] und einer Großmacht, die auch unsere Souveränität einschränken will. .... Kein anderer EU-Mitgliedstaat verbindet seine Handelsbeziehung mit Russland mit derart grundsätzlicher ideologischer Kritik am eigenen Verbündetensystem. ... Vor diesem Hintergrund ist das für Februar geplante Treffen des ungarischen Premiers und des russischen Präsidenten ein Zeichen dafür, dass Moskau sogar in Zeiten schärfster Konflikte auf ein Nato- und EU-Mitglied zählen kann.“
Es geht schlicht um Kriegsvermeidung
Die kremlnahe Wsgljad hält die russischen Forderungen an den Westen für pragmatisch:
„Russlands Forderungen an die USA und Nato mögen manchen ultimativ und überzogen vorkommen. Dennoch, es geht darin um ein Thema: Sicherheit. Eine Nichtausweitung der Nato auf die Ukraine und Georgien, kein weiteres Vorrücken zusätzlicher Kräfte und Waffen der Nato über die Linie, wo sie 1997 standen (zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Nato-Russland-Grundakte) - das sind alles Regelungen nicht moralischen, sondern pragmatischen Charakters. ... Beide Seiten wollen keinen Krieg. Also lasst uns vereinbaren, wie man sich absichern kann gegen dessen unbeabsichtigte Entfesselung während Manövern im Schwarzen Meer oder einer plötzlichen Krise im Donbass oder Südossetien. “
Verhandlungen durchaus möglich
Von Putins überrissenen Forderungen sollte man sich nicht abschrecken lassen, meint Diplomat Gérard Araud in Le Point:
„Er weiß, dass der Vertrag, den er dem Westen vorgelegt hat, inakzeptabel ist. Handelt es sich nur um ein Manöver, mit dem eine Invasion der Ukraine gerechtfertigt werden soll, die schon längst beschlossene Sache ist? Das glaube ich nicht. Ich selbst habe in Verhandlungen, die ich im Uno-Sicherheitsrat mit Russen geführt habe, festgestellt, dass sie oft extreme Forderungen stellen und dann im Laufe der Gespräche nachgeben. ... In jedem Fall haben sie ihre grundlegenden Ziele deutlich gemacht: eine Garantie, dass weder die Ukraine noch Georgien der Nato beitreten, und wahrscheinlich eine Beschränkung der in Europa stationierten US-Waffen – etwas, worüber man durchaus verhandeln kann.“
Es droht eine Eskalationsspirale
Für die Tageszeitung Die Welt spricht vieles dafür, dass die Gespräche letztlich scheitern werden:
„Der Westen kann und wird seine [Putins] Kernforderungen nicht erfüllen. Übrigens auch deshalb nicht, weil Chinas Diktator Xi Jinping, ebenfalls ein alternder Revanchist, das als Ermunterung verstehen würde. Und dann? Ein Scheitern der Gespräche ist ein Gesichtsverlust für Putin und dürfte ihm in einigen Monaten als Vorwand dienen, dem Westen eine Lektion zu erteilen - und weitere Teile der Ukraine zu besetzen. Amerikaner und Europäer werden mit harten Sanktionen reagieren. Die Eskalationsspirale wäre da.“
Nicht der Westen ist Russlands Problem
Es geht Russland nicht um die Wiederherstellung der Einflussbereiche aus dem Kalten Krieg, glaubt Iltalehti:
„Es wurde spekuliert, dass Präsident Putin versuchen würde, die Interessensphäre der ehemaligen Sowjetunion wiederherzustellen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass seine Strategie auf der Sicherung des autokratischen Führungs- und Regierungssystems in Russland und seinen wichtigsten Partnerländern basiert. … Es geht nicht um eine Konfrontation zwischen dem politischen Westen und Russland, sondern um das Versagen autoritärer, autokratischer Regime bei der Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, wie etwa dem Wunsch der Menschen nach Freiheit.“
Die EU ist kein Faktor
Putin weiß um die außenpolitische Schwäche von Brüssel, Berlin und Paris, analysieren die Salzburger Nachrichten:
„[D]ie Union hat in den vergangenen zehn Jahren dramatisch an Macht und geopolitischem Einfluss verloren. ... Um das Ausmaß zu ermessen, sei an die Krim-Krise 2014 erinnert. Sie begann mit dem Streit über ein Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU. Die Strahlkraft der Union war groß. Auch der US-Präsident hatte Vertrauen: Barack Obama überließ die Verhandlungsführung in dieser 'europäischen Angelegenheit' Angela Merkel. Heute hält sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lieber gleich an die USA. Weil er weiß, dass in Brüssel, Berlin und Paris außenpolitisch lahme Enten herumwatscheln.“
Moskau hat ein Spinnennetz gewoben
El Periódico de Catalunya stört, dass Putin gerade die Agenda diktiert:
„Binnen nur vier Tagen sitzt Russland neben den USA in Genf, dann bei der Nato in Brüssel, und noch vor Ende der Woche treffen Kreml-Abgesandte bei der OECD ein. Vielleicht muss man bis zum Ende des Kalten Krieges zurückgehen, um eine Zeit zu finden, in der Russland so strategisch vorgegangen ist. ... Es hat ein Spinnennetz gewoben, Ultrabewegungen in ganz Europa unterstützt und den Cyberspace in kritischen Momenten angegriffen. Russland wird bleiben. Europa und den USA sollte klar sein, dass ein [weiterer] Krieg in der Ukraine vermieden werden muss. Bei der Stärkung der gemeinsamen Sicherheit dürfen dabei aber keine Zugeständnisse gemacht werden.“
Gute Chancen für Putin
Für den Kreml-Chef bedeuten die anstehenden Beratungen wieder mehr internationale Aufmerksamkeit, meint republica.ro:
„In den Diskussionen mit der Nato in Genf könnte Russland auf kleine, aber ebenso wichtige Gewinne für Putins Regime setzen. Die Beamten der Biden-Regierung haben bereits zwei Forderungen Russlands, was das Verbot eines Nato-Beitritts für die Ukraine angeht und ein Verbot einer weiteren Nato-Osterweiterung, eine Absage erteilt. Doch die Verhandlungen sind kein Nullsummenspiel und Putin hat jetzt die Gelegenheit, die bestehenden Sanktionen wieder diskutieren zu lassen, in der russischen Wählerschaft wieder an Unterstützung zu gewinnen und die Aufmerksamkeit von den Problemen im eigenen Land abzulenken.“
Europa und USA orientierungslos
Der Westen steht gerade sehr unvorbereitet da, ärgert sich Corriere della Sera:
„Amerika ist von inneren Konflikten zerrissen und hat einen Präsidenten, der es nicht geschafft hat, sich vom Kabul-Skandal zu erholen. Deutschland hat eine neue Regierung, die ihren Kurs vor Ort erst noch festlegen muss. Frankreich befindet sich mitten in einem Wahlkampf um den Elysée-Palast, der auch für Macron riskant wird. Italien steht vor schwierigen institutionellen Weichenstellungen. Großbritannien muss für den Brexit teuer bezahlen. Das Europa von Brüssel ist gespaltener denn je. Kurzum, der Westen durchläuft eine jener Phasen der Unsicherheit und Schwäche, die sich unweigerlich auf strategische Entscheidungen oder auf die Reaktionsfähigkeit auswirken.“
Düstere Aussichten
Die EU-Staaten müssen eine einheitliche Linie gegenüber Russland vertreten, fordert Helsingin Sanomat:
„Harte Sanktionen würden den Energiesektor, Rohstoffe und das Swift-Zahlungssystem treffen - und sie würden auch der europäischen Wirtschaft schaden. Einige EU-Staaten lehnen diese deshalb ab. Man hatte gehofft, dass Dialog und gegenseitiger Handel Russland dem Westen näherbringen würde, aber diese Zeit ist vorbei. Die Aussichten für die Zukunft sind düster und unklar. Inmitten der Unsicherheiten und aus Eigeninteresse sollten die europäischen Länder eine starke gemeinsame Front bilden, aber auch darauf vorbereitet sein, dass es keine Einigkeit gibt.“
Es liegt an Berlin
Ob der aktuelle Konflikt die Nato weiter spaltet oder sogar stärkt, ist in hohem Maße von Deutschlands Haltung abhängig, meint der Außenpolitik-Experte Botond Feledy in Új Szó:
„Während Polen, die baltischen Staaten und Rumänien erwarten, dass Deutschland und die USA ihre Standpunkte annähern, sind die ungarische Regierung, der tschechische Präsident oder die serbische Premierministerin anderer Meinung. ... Ein entschlossenerer Auftritt Deutschlands könnte in der Region eine stärkere Einheit schaffen. ... Vielleicht wird die russische Truppenkonzentration so einen gegenteiligen Effekt hervorrufen als den ursprünglich intendierten: Statt die Nato-Verbündeten zu spalten kann sie sogar zu einer einheitlichen Grundlage auf unserer Seite führen. Es wäre höchste Zeit dafür.“