Zu welchen Sanktionen ist der Westen noch bereit?
Der nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan hat für Donnerstag die Bekanntgabe weiterer Sanktionen angekündigt, die die Vereinigten Staaten gemeinsam mit anderen Ländern gegen Russland ergreifen werden, um das Ende der Ukraine-Invasion zu erzwingen. Die europäische Presse diskutiert die Bereitschaft einzelner Staaten, an dem Strang mitzuziehen.
Nicht länger zögern
Neben militärischer Unterstützung der Ukraine ist die sofortige Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nötig, findet The Times:
„Der Westen muss weiter Waffen an die Ukraine liefern und für Ausbildung sorgen. ... Selbst wenn die Einrichtung einer Flugverbotszone für die Nato nicht machbar ist, kann ein hochentwickeltes Flugabwehrsystem doch nahezu gleiche Ergebnisse liefern. Die Nato sollte nicht erst warten, bis Putin chemische und biologische Waffen einsetzt, bevor sie Sanktionen oder Militärhilfe verstärkt. Die vergangenen Monate beweisen, dass er westlichen Abschreckungsversuchen keine Beachtung schenkt. Dementsprechend sollte man besser signalisieren, dass der Westen erst deeskalieren wird, wenn der allerletzte russische Soldat ukrainisches Territorium verlassen hat.“
Sanktionen statt Krieg
Sanktionen abzulehnen bedeutet, eine Seite im Konflikt zu wählen, meint Peščanik.net:
„Sanktionen sind ein Versuch den Krieg zu beenden, bevor er sich auf weitere Staaten ausbreitet. Sanktionen abzulehnen und stolz zu sagen, dass Serbien sie nie gegen jemanden einführen würde, bedeutet in diesem konkreten Fall, Krieg zu befürworten. Als ob man sagt: Wir wollen keine Sanktionen, wir wollen Krieg. ... Es sind symbolische Gesten oder, wenn man so will, die Wahl einer Seite. Serbien lehnt es ab, sich zu entscheiden. Das würde Sinn machen, wenn die Ukraine und Russland gleichwertige Militärmächte wären und einen Krieg führen würden nach einer Reihe von gleichmäßig verschuldeten Konflikten. Das würde Sinn machen, wenn dies wirklich ein Krieg zwischen der Nato und Russland wäre. Ist es aber nicht.“
Putin muss anders gestoppt werden
Die Pravda warnt davor, dass vor allem Ostmitteleuropa und die Ukraine durch weitere Sanktionen gegen Putin in die Bredouille geraten könnten:
„Obwohl wir für mehrere Monate Vorräte an strategischen Rohstoffen wie Öl und Gas haben, wissen wir immer noch nicht, wie wir Ausfälle ersetzen können. ... Die Ukraine, die sich nach 2015 von Russland abgekoppelt hat, ist immer noch indirekt abhängig und erhält viel Geld aus Rohstofftransporten. Wer wird sie entschädigen? ... Die norwegischen Kapazitäten sind derzeit voll ausgelastet. Die Lieferung von Flüssiggas aus den USA und dessen Transport sind umweltschädlich. Sollten wir uns noch stärker auf die autoritären Regime des Nahen Ostens oder Algeriens konzentrieren? ... Wir müssen auch nach anderen Hebeln suchen, um Putin zu stoppen.“
Die Front bröckelt
Revista 22 nimmt erste Ermüdungserscheinungen des Westens wahr:
„Täglich erhält Russland hunderte Millionen Euro nur allein für Gas, das es in die EU-Länder exportiert. Wenn es unmöglich ist, den Import von Gas einzustellen, dann könnten die Westler zumindest beim Erdöl das Volumen reduzieren. In den vergangenen Tagen gab es jedoch vermehrt Hinweise aus verschiedenen Hauptstädten, dass das Thema der russischen Invasion einige Regierungschefs zu langweilen beginnt, und diese sich zunehmend über Selenskyjs Beharrlichkeit ärgern. Nicht wenige Politiker im Westen hoffen, dass sie mit Russland wieder zum Business as usual übergehen können.“
Türkei versucht Spagat
Die Türkei geht im Ukraine-Krieg einen Sonderweg, analysiert die Hürriyet:
„Die Türkei verurteilt Russland innerhalb der Nato für seine Invasion in der Ukraine und versorgt zudem die ukrainische Armee mit Drohnen. ... Andererseits versucht sie, ihre Beziehungen zu Russland auszubalancieren, indem sie sich aus den vom Westen verhängten Sanktionen heraushält. ... Während die Länder der EU ihren gesamten Luftraum schließen, bleiben der türkische Luftraum und Flughäfen für russische Flugzeuge offen. ... Die türkische Seite vermeidet eine harsche Rhetorik gegenüber Russland, um Kanäle zu beiden Seiten offen zu halten und eine Vermittlerrolle einnehmen zu können. ... Falls jedoch kurzfristig keine Lösung für den Krieg gefunden werden kann, wird diese Politik zwangsläufig einer harten Belastungsprobe ausgesetzt.“
Alle sollten sich zurückziehen
Wer von den westlichen Unternehmen weiter in Russland bleibt, legitimiert nur Putin, meint Jyllands-Posten:
„Russland ist ein Entwicklungsland, das gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf Platz 85 der Welt rangiert. Selbst wenn man die Kaufkraft bereinigt, reicht es nur für Platz 74. Die Familien in Europa zahlen bereits mit dem Einkaufswagen für den Wirtschaftskrieg, und es ist unvermeidlich, dass auch die einfachen Russen den Schmerz spüren werden. Nicht zuletzt dadurch, dass sich alle westlichen Unternehmen aus Russland zurückziehen. Die Unternehmen, die in Russland bleiben, unterminieren nicht nur den Wirtschaftskrieg, sondern legitimieren das Regime, das gefährlich nahe daran ist, einen Krieg gegen den Westen zu provozieren. “
Sanktionsbereitschaft je nach Ausgangslage
Sanktionen stellen nicht das gleiche Risiko für alle dar, beobachtet Magyar Hírlap:
„Diejenigen, die keine Verantwortung tragen und auf innenpolitischer Ebene Punkte sammeln möchten wie die Gyurcsány-Linke [der ungarische linke Oppositionsführer Ferenc Gyurcsány und seine Verbündeten] fordern meist zum agressiveren Auftritt auf. Diejenigen hingegen, die in der Regierung sind, sind in der Regel vorsichtiger. Je nach geopolitischer Lage gibt es Länder, die es sich leisten können, auf 'volle Kraft voraus' zu schalten, andere hegen jedoch die Befürchtung, dass sie sich ins eigene Knie schießen. ... Die Effektivität der Sanktionen erweckt ebenso große Zweifel, denn eine entscheidende Wende konnte man mit Sanktionen weder jetzt noch früher erreichen.“
Wir brauchen Energie, die Frieden garantiert
Die junge polnische Klimaaktivistin Wiktoria Jędroszkowiak fordert in Rzeczpospolita ein Ende der Nutzung fossiler Energieträger:
„Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe muss ein Ende haben - ihre fortgesetzte Förderung und Nutzung verursacht nicht nur eine Klimakrise, die Gewalt schürt, Konflikte hervorruft und soziale Ungleichheiten vergrößert, sondern unterstützt auch autoritäre Regime. Das Geld der Bürgerinnen und Bürger der EU, die sich Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat, darf nicht die Regierungen von Saudi-Arabien, Iran oder Venezuela finanzieren. ... Wir brauchen Energie, die Frieden garantiert und kein Leid verursacht - die Politik muss Investitionen in erneuerbare Energiequellen und Energieeinsparungen höchste Priorität einräumen.“
Es gibt keine einfachen Lösungen
Die EU steht vor einem Dilemma, glaubt Irish Independent:
„Sowohl Deutschland als auch Italien sind stark von Gaslieferungen abhängig. Und insgesamt kommen 40 Prozent der Gaslieferungen für die EU aus Russland, weshalb die Auswirkungen eines Importverbots auf die ohnehin nach oben schnellenden Lebenshaltungskosten und die Gefahr für Hunderttausende Arbeitsplätze sehr real sind. Es droht eine große wirtschaftliche Rezession. Das stellt ein moralisches Dilemma für die EU dar, die nun die Kosten des Verlusts der Lebensgrundlage für viele Menschen in EU-Ländern gegen Leben und Tod in der Ukraine abwägen muss. ... Es gibt hier schlicht keine einfachen Lösungen. “
US-Sanktionen machen alle nervös
Die finanziellen Sanktionen der USA gegen Russland sind schon jetzt so hart wie nie, meint Yetkin Report:
„Die USA haben begonnen, ihren Einfluss durch politische Eingriffe in das Bankensystem auszuüben. Das war eine Maßnahme in einem vorher nie da gewesenen Ausmaß. ... Das Weiße Haus bereitet zudem Maßnahmen zur Kontrolle von Zahlungsmitteln vor, die über den Dollar hinausgehen, zum Beispiel bei der Kryptowährung. Die Waffe der Beschlagnahmung von Zentralbank-Reserven, die in Dollar oder in Gold in der Obhut der USA und der Europäischen Union aufbewahrt werden, wird bereits eingesetzt. Russland kann daher die Hälfte seiner Reserven, die auf 640 Milliarden Dollar beziffert werden, nicht nutzen. ... Das wird jetzt an Russland angewandt, aber es macht auch alle anderen Länder nervös.“
Seriöses Business geht nur noch ohne Putin
Die wirtschaftlichen Sanktionen werden das russische Finanzsystem hart treffen und die internationale Verurteilung Putins potenziert diesen Effekt, meint Neatkarīgā:
„Es besteht kein Zweifel daran, dass dies nur eine Frage von kürzester Zeit ist, bis das russische Finanzsystem trotz allen Widerstands der Großunternehmen vollständig isoliert sein wird. Dabei steht die Reputation nicht auf der Seite Russlands. Heute entspricht Putins Ruf in Europa und Nordamerika dem von Hitler, Saddam Hussein und Baschar al-Assad. Kein seriöser Geschäftsmann oder Politiker will Mitglied dieses Clubs werden.“
Es gibt noch Spielraum für Verhandlungen
Die Sanktionen gegen Russland sind nicht so radikal, wie es zunächst schien, analysiert Večer:
„Vielleicht ist es besser so, denn es suggeriert Verhandlungsbereitschaft. Ein offensichtliches Beispiel dafür ist, dass nur ein Viertel der russischen Banken aus dem Swift System ausgeschlossen wurden. Weder die Sberbank noch die Gazprom Bank sind darunter. Gleichzeitig hat Russland nicht die Absicht, den Gasfluss nach Deutschland, Polen, in die baltischen Staaten und auf den Balkan zu unterbrechen. Außerdem wird der Gaspreis nach der Schließung von Nord Stream 2 steigen. Solange beiden Seiten Luft zum Atmen bleibt, wird es keinen Atomkrieg geben.“
Allzu harte Strafen sind kontraproduktiv
Bei Sanktionen ist die richtige Balance gefragt, mahnt Financial Times:
„Die demokratischen Staaten versuchen sicherzustellen, dass das Putin-Regime einen hohen Preis für seinen immer blutigeren Angriff zahlt. Zudem sind sie bemüht zu beeinflussen, wie weit der russische Präsident bei seiner Aggression zu gehen bereit ist. Doch sie müssen auch berücksichtigen, dass die Erzwingung eines raschen wirtschaftlichen Zusammenbruchs eine Gegenreaktion unter jenen Russen provozieren kann, die nicht für den Krieg verantwortlich sind. Eine weitere Gefahr besteht darin, einen zunehmend paranoiden Führer in die Ecke zu treiben. Sanktionen müssen so kalibriert sein, dass sie starken, aber kontrollierten Druck ausüben.“
Ein Rezept für die gegenseitige Zerstörung
Auch Efimerida ton Syntakton mahnt zur Zurückhaltung:
„Die Verhängung von Sanktionen durch die USA und die EU gegen Russland mag aus völkerrechtlicher Sicht eine vernünftige Reaktion sein. ... In Verbindung mit bereits ergriffenen und noch möglichen Vergeltungs- und Gegenmaßnahmen könnte sich dies jedoch als ein Rezept für die gegenseitige wirtschaftliche Zerstörung erweisen. Der Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland nimmt Züge des Kalten Krieges an. Hielt die nukleare Doktrin die Führungen der Supermächte damals davon ab, unbedacht den roten Knopf zu drücken, ist dies im Bereich der Wirtschaft bereits passiert. ... Die westlichen Sanktionen und die russischen Vergeltungsmaßnahmen haben das erklärte Ziel, sich gegenseitig enormen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.“
Zentralbank ins Visier nehmen
Pawlo Kuchta, ehemaliger ukrainischer Wirtschaftsminister, schlägt in NV vor:
„In westlichen Expertenkreisen werden bereits Sanktionen gegen die russische Zentralbank, die Russlands Devisenreserven hält und russische Staatsfonds verwaltet, breit diskutiert. ... Bei den meisten dieser Beträge handelt es sich um virtuelle elektronische Aufzeichnungen auf Konten bei westlichen Zentralbanken: der US-Notenbank, der europäischen EZB et cetera. ... Wenn diese Konten durch Sanktionen eingefroren werden, hat Russland im Grunde genommen in einer Sekunde kein Geld mehr, um die Stabilität seiner eigenen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Mit solchen Methoden ist der Westen in der Lage, den Krieg mit Russland zu gewinnen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.“
Jetzt holt die Realität den Westen ein
Die bisherigen Sanktionen können den Kreml-Chef nicht schrecken, konstatiert Hospodářské noviny:
„Generell tut jeder das, was der andere zulässt. Und der Westen, einschließlich Tschechien, zeigt Russland nicht, dass er bereit ist, dessen Expansion wirklich aufzuhalten. Die Ukraine hat jahrelang um eine Nato-Mitgliedschaft gebeten. Vergeblich. Der Westen will das eigentlich auch nicht, es wäre in jeder Hinsicht zu teuer. Dadurch dürfte die Ukraine nun wahrscheinlich in den Einflussbereich Russlands geraten. Und der Westen sagt, wie der berühmte Typ, der von einem Wolkenkratzer fällt: 'Bis jetzt ist es gutgegangen.' Aber es ist nicht gut. Und mit dem jetzigen Ansatz wird es nicht besser.“
Putin nicht wieder davonkommen lassen
Zweifel an der Wirksamkeit von Sanktionen sind verständlich, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Allerdings wäre es ein Missverständnis, allein eine Verhaltensänderung zum Maßstab für Sinn und Erfolg von Sanktionen zu erheben. Ein wichtiges Ziel ist es, dem Widersacher Kosten für politische Entscheidungen aufzuerlegen. Die Alternative wäre, diese unwidersprochen hinzunehmen und die Ordnung preiszugeben, die Europa seit Jahrzehnten Sicherheit und Wohlstand garantiert hat. Der eigentliche Fehler war, dass man Putin nach der Annexion der Krim viel zu billig davonkommen ließ.“
Schlösser und Fußballclubs konfiszieren
Es müssen Maßnahmen her, die dem Umfeld Putins richtig weh tun, schreibt Aftonbladet:
„Wladimir Putin erinnert sich, wie wenig es ihn 2014 gekostet hat, in die Ukraine einzumarschieren, und wie er nach der Krim-Annexion auch innenpolitisch gestärkt wurde. Nichts, was der Westen bisher getan hat, hat Russlands Kalkül geändert. Die bisher angekündigten Sanktionen waren vermutlich bereits eingepreist. Ebenso wie die diplomatischen Reaktionen. … Vermutlich geht es jetzt darum, hart gegen Putins engsten Kreis vorzugehen. Frieren Sie die gestohlenen Vermögenswerte der Oligarchen in westlichen Banken ein. Nehmen Sie ihre französische Schlösser und Fußballmannschaften. Stornieren Sie ihre Visa und Pässe.“
Der Preis ist hoch - und gerechtfertigt
Die Sanktionen gegen Russland werden uns schaden, trotzdem müssten sie verhängt werden, fordert ABC:
„Es steht mehr auf dem Spiel, als die Zukunft einiger Regionen eines Landes am Rande unseres Einflussbereichs. ... Putin hat gezeigt, dass er keine Skrupel hat. .. Er hat es in Georgien getan, er tut es zum zweiten Mal in der Ukraine. Er wird es in anderen Ländern tun, wenn wir ihn nicht aufhalten, sei es im Baltikum oder anderswo in Europa. In Anbetracht des Ernstes der Lage müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass diese Sanktionen auch für uns einen hohen Preis haben werden, und wir müssen bereit sein, diesen Preis zu zahlen. Ansonsten müssen wir die Konsequenzen dafür tragen, dass wir ein gewalttätiges Verhalten ungestraft lassen, das gegen die elementarsten Regeln des Völkerrechts verstößt.“