Macron gegen Le Pen: Die Spannung steigt
Kurz vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag blickt Europa gebannt auf Frankreich: Laut Umfragen liegt der liberale Amtsinhaber Macron zwar vor seiner Rechtsaußen-Herausforderin Le Pen, doch sein Sieg ist keineswegs ausgemacht. Von Bedeutung für den Wahlausgang dürften die noch unentschlossenen und linksorientierten Wählenden sein. Kommentatoren betrachten die Wahl als Richtungsentscheidung für die EU.
Zumindest eine Stimme für die Demokratie
Für linke Wähler sind beide Kandidaten keine wirkliche Alternative, meint Upsala Nya Tidning:
„Es wird gemunkelt, dass viele linke Wähler in Frankreich am Sonntag einen leeren Stimmzettel abgeben werden. Frankreich ist kein leicht zu vereinendes Land. Aber wenn es eine Sache gibt, auf die sich die Bürger einigen können sollten, dann darauf, nicht nur eine demokratische Stimme zu erheben, sondern auch eine Stimme für die Demokratie in der Welt.“
Immer nur das kleinere Übel frustriert
Nach Ansicht von El Periódico de España sehen die kommenden fünf Jahre düster aus - egal, wie die Wahl ausgeht:
„Die Bürgerinnen und Bürger in Frankreich und generell in allen Ländern scheinen es leid zu sein, gegen etwas zu stimmen und sich halbherzig für das kleinere Übel entscheiden zu müssen. ... Unabhängig vom Ergebnis sollte man für die Zukunft verstehen, warum sich immer mehr Wähler in immer mehr demokratischen Ländern für rechtsextreme Kandidaten entscheiden. ... Immer mehr Franzosen sind der Meinung, dass sich die Situation sowohl für das Land als auch für sie selbst in den kommenden Jahren verschlechtern wird. Und acht von zehn Bürgern erwarten in den nächsten fünf Jahren größere soziale Bewegungen.“
Bitte keinen Blankoscheck für Macrons Europa
Die Wochenzeitung Marianne sieht die Gefahr, dass Macron die Bedeutung seines Sieges verkennt, sollte er gewinnen:
„Ist es nicht ein zynisches Argument zur Vorbereitung der Interpretation des Ergebnisses am Sonntag, zu erklären, dass die Abstimmung ein Referendum über die Europäische Union sei, wenn es permanent angeführt wird? Wird der dann wiedergewählte Präsident nicht schlussfolgern, dass sein Sieg auch seiner Herangehensweise an europäische Themen gilt, obwohl er eigentlich das Ergebnis eines Schutzwalls gegen die extreme Rechte ist, der zwischen dem 11. April und dem TV-Duell am 20. April errichtet wurde? Dieses Verknüpfen des Wahlsiegs mit der EU würde so einen besorgniserregenden Blankoscheck darstellen.“
Tabubruch ist gerechtfertigt
Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Amtskollegen aus Portugal und Spanien, António Costa und Pedro Sánchez, haben die Menschen in Frankreich zur Wahl Macrons aufgerufen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat gegen diese Einmischung nichts einzuwenden:
„Bei der französischen Präsidentenwahl steht das Überleben der EU auf dem Spiel. Wenn viele Bürger 'Klartext' mehr schätzen als Konventionen, dann spricht nichts dagegen, den Franzosen Europas Angst vor einer Präsidentin Le Pen zu offenbaren. Deren Anhänger werden Scholz und Co. nicht beeindrucken. Wenn sich aber nur ein paar vom liberalen Macron genervte Linke von Europas führenden Sozialdemokraten zur Wahlteilnahme motivieren ließen, dann hätte sich der kleine Tabubruch schon gelohnt.“
Opposition mehr Platz im Parlament einräumen
Jérôme Gautheret, Italien-Korrespondent von Le Monde, rät Frankreich, von seinem Nachbarn die Idee einer Reform des Wahlrechts zu übernehmen:
„Wenn es darum geht, das Wahlrecht zu ändern, steht der Widerspruch zwischen Stabilität und Repräsentation im Zentrum der Überlegungen italienischer Politiker – und sie ändern es je nach ihren Interessen. Auf unserer Seite der Alpen wird die Notwendigkeit, eine Dosis Verhältniswahlrecht einzuführen, im Wahlkampf oft bekundet und nach der Abstimmung umgehend ins Regal der unerfüllten Versprechen verbannt. Keinem Regierenden fällt es leicht, seinen eigenen Spielraum einzuschränken. Emmanuel Macron täte jedoch gut daran, dieses Thema im Falle einer Wiederwahl prioritär zu behandeln, um nicht weitere fünf Jahre die Bewegungen sozialer Wut zu erleben.“
Widerstand fortsetzen
Für Frankreichs Oppositionelle geht es jetzt darum, ihre Protestmöglichkeiten zu sichern, drängt Le Courrier:
„Marine Le Pen ins Präsidentenamt zu lassen, bedeutet, einer faschistischen Partei den Weg frei zu machen, die sich beeilen wird, ihren Einfluss zügig auf die gesamte Verwaltung auszuweiten, die die Justiz zerschlagen und jegliche Form der Opposition angreifen wird. … Die Alternative Macron ist alles andere als rosig. Sie bedeutet Unterdrückung von Protestbewegungen, verschärfte Asylpolitik und die Unfähigkeit, soziale und Umweltschutzvorhaben umzusetzen. Doch sie will den Staatsapparat nicht niederbrennen. Die Existenz einer Opposition im Parlament und vor allem auf der Straße bleibt möglich. Dort muss der Widerstand fortgeführt werden.“
Klare Vision für Frankreich? Fehlanzeige!
Le Figaro kritisiert den Auftritt von Macron und Le Pen beim TV-Duell am Mittwoch als zu unübersichtlich und technokratisch:
„Finanzierungskonzepte und Maßnahmen für spezifische Bevölkerungsgruppen wurden aufeinandergestapelt, ohne dass sich je eine Vision hätte entwickeln können, die dieses große Durcheinander an Vorschlägen geordnet hätte. Es ist zu befürchten, dass ein großer Teil der Wähler sich bei dieser Übung mitunter außen vor gelassen fühlte. Die immateriellen Stärken der Nation - ihre Geschichte, ihre Institutionen, ihre Schönheit, ihre Sprache, ihr Prestige, ihre Kultur und ihre Schule - hatten in diesem Meer aus Zahlen Schwierigkeiten, nicht unterzugehen. Dabei kann Politik nicht auf regulierende Technokratie reduziert werden.“
Rechtspopulistische Dynamiken
Der Redakteur Timios Fakalis schreibt zu Le Pens hohen Werten in Ethnos:
„Wir sollten nicht vergessen, was Giorgos Stephanidis, Präsident des griechisch-französischen Wissenschaftsinstituts, betont; nämlich dass es bei der jüngsten Wahl eine Partei gegeben hat, die noch rechtsextremer war, nämlich die von Eric Zemmour: 'Das bedeutet, dass Le Pen nicht als Rechtsextreme präsentiert wurde, sondern als «vernünftige» Rechtsextreme. Wenn man eine extremere Partei neben sich hat, wirkt man weniger extrem.' ... Ein weiteres Element, das Le Pens Umfragewerte in die Höhe getrieben hat, war das Sammeln einer großen Anzahl von Stimmen der klassischen rechten Basis, die in der ersten Runde gespalten und unentschlossen schien. “
Macron muss linke Wähler mobilisieren
Um die Präsidentschaftswahl für sich zu entscheiden, müsste Macron die linken Wähler überzeugen, analysiert Aftonbladet - befürchtet aber, dass dies schwerfallen wird:
„Nach den Demonstrationen der Gelbwesten-Protestbewegung im Jahr 2018 musste der Präsident in der Frage der erhöhten Klimasteuern auf Kraftstoff einen Rückzieher machen. Die Politik von Marine Le Pen scheint viele Linke nicht anzuziehen. Die größte Bedrohung für Macron am Sonntag besteht darin, dass Mélenchons Wähler zu Hause bleiben. Der marktliberale Präsident hat einfach nicht genug getan, um sie zu überzeugen. Seit 2017 betreibt er rechte Politik. Jetzt hat er vier Tage Zeit, um links zu werden.“
Krampfhafte Inszenierung verfängt nicht
Der Tages-Anzeiger analysiert Macrons jüngstes PR-Bild mit offenem Hemd und üppiger Brustbehaarung:
„Das Phänomen des schichtübergreifenden Macron-Hasses versuchen mittlerweile Artikel, Bücher und soziologische Studien zu ergründen. ... Sein wortreiches Besserwissertum, die Attitüde des kosmopolitischen Bildungsbürgers, verbunden mit der penetranten Jugendlichkeit eines gleichermassen frühreif wie altklug wirkenden Klassenstrebers. ... Angesichts eines solchen Images will das Team Macron offensichtlich beteuern: Nicht immer studiert der Präsident Regierungsakten. ... Das Problem dabei ist: Ein Image in einer Hauruck-Aktion korrigieren zu wollen, indem man krampfhaft dessen Kontrast inszeniert, unterstreicht die angeblichen oder tatsächlichen Schwächen erst recht.“
Wahlausgang unberechenbar
Der Falter sieht die europäische Integration auf der Kippe:
„[Le Pens] Wahl ist laut Umfragen nicht wahrscheinlich, aber es galt einst auch als undenkbar, dass Donald Trump ins Weiße Haus einzieht. Frankreich ist heute so unberechenbar wie die USA. ... Der Amtsinhaber muss rechte und linke Demokraten hinter sich vereinen, um den Absturz des Landes in nationalistisch-autoritäres Gewässer zu verhindern. Was vor fünf Jahren gelang, ist nun schwieriger geworden. Die Wut der Bürger hat das konservative und sozialdemokratische Establishment demontiert. Macron braucht Stimmen aus dem Lager des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, der eine Wahlempfehlung für den Präsidenten nicht über die Lippen bringt.“
Sie sind nicht mehr diegleichen
La Stampa analysiert die veränderten Ausgangspositionen der Kandidaten im Vergleich zur letzten Präsidentschaftswahl:
„Sie sind dieselben Anwärter wie vor fünf Jahren, aber sie sind nicht mehr diegleichen. Le Pen hat an der 'Entdiabolisierung', der Normalisierung, gearbeitet, um sich von ihrem rechtsradikalen Image zu befreien, wozu die Kandidatur von Éric Zemmour unerwartet beigetragen hat. Macron hat fünf Regierungsjahre hinter sich, die geprägt waren von den erbitterten Protesten der Gelbwesten, von Covid, vom Krieg in der Ukraine und von einem Wahlkampf, der bis zu den alarmierenden Umfragen, die ihm einen Sieg von 51 Prozent voraussagten, zu leicht genommen wurde.“
Le Pens gefährliche Pläne
Wenn Le Pen am Sonntag gewinnt, droht Europa eine tiefe Krise, schreibt die Politologin Sandra Fernandes von der portugiesischen Universität Minho in Público:
„Marine hält sich die Möglichkeit eines Referendums über den EU-Austritt Frankreichs offen. ... Ihre erste Maßnahme als Präsidentin wäre eine Volksabstimmung über die Einwanderung und den Status von Ausländern mit dem Ziel der Kriminalisierung und der Abschaffung des Ius soli für die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit. Der 'blaue Tsunami' könnte die Umgehung von Institutionen und Populismus bedeuten, so wie es Premierminister Orbán in Ungarn getan hat. Und: eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland und einen tiefen Einschnitt in den deutsch-französischen Beziehungen.“
Geht Frankreich den polnisch-ungarischen Weg?
Rzeczpospolita ist sich sicher:
„Ein Sieg von Le Pen würde einen kräftigen, vielleicht entscheidenden Schlag gegen die Institutionen des Westens bedeuten, die Polens Sicherheit und Wohlstand in der letzten Generation gewährleistet haben. ... Die EU ist seit Jahren durch den Streit mit Ungarn und Polen geschwächt. Dies könnte einer der Faktoren gewesen sein, die Putin bei der Einschätzung einer möglicherweise fehlenden Einigkeit des Westens im Falle einer Invasion in der Ukraine zugrunde legte. Aber wenn Frankreich den polnisch-ungarischen Weg gehen würde, hätte das viel weitreichendere Folgen. Da die Europäische Union auf dem Fundament der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland aufgebaut wurde, würde sie sich ohne Paris allein auf die Führung Berlins stützen können? Die historische Erfahrung spricht nicht dafür.“
Junge Wähler in der Klemme
Es ist nicht verwunderlich, dass sich viele junge Franzosen dazu entschließen, nicht zu wählen, kommentiert der Soziologe Didier Fassin in Libération:
„Alle, die in den letzten zehn Jahren volljährig geworden sind, hatten bei den Präsidentschaftswahlen immer nur die Wahl zwischen den Konservativen und den extremen Rechten. Die jungen Leute, von denen viele traditionell links wählen, können diese Präferenz nicht mehr ausdrücken. ... Für [sie] hat sich das berühmte Thatcher'sche 'There is no alternative' von der Wirtschaft in die Politik verlagert. ... Die jungen Leute werden für schuldig erklärt für ihre Entscheidung, sich zu enthalten oder einen ungültigen Stimmzettel abzugeben, während sie den Eindruck haben, dass die Politiker sie dazu zwingen.“
Le Pen wäre schlecht für den Kreml
Russland dürfte diesmal eher an einem Sieg Macrons gelegen sein, meint Radio Kommersant FM:
„Wenn vor fünf Jahren im analogen Duell des zweiten Wahlgangs die Sympathien des Kremls eher auf der Seite Le Pens waren (sie wurde sogar von Putin empfangen), ist es heute nicht so eindeutig: An ihre Russland-Verbindungen möchte Le Pen sich lieber nicht erinnern. Nach der Tragödie von Butscha forderte sie, den französischen Botschafter aus Moskau abzuberufen - Macron war zu einem so radikalen Schritt nicht bereit. Außerdem unterhält sie enge Kontakte zur rechten polnischen Regierung, die für maximal harte Russland-Sanktionen eintritt. Macron hingegen besteht auf der Notwendigkeit eines Dialogs mit Putin - wofür er von eben jenen Polen scharf kritisiert wird.“
Es geht ums Ganze
Der zweite Wahlgang wird zu einem Referendum zur Zukunft der EU, meint Jutarnji list:
„Man kann nicht einmal mehr damit rechnen, dass sich traditionelle Parteien zusammentun, um einen gefährlichen Wahlausgang zu verhindern. Denn die beiden traditionellen Parteien, die Sozialisten und Republikaner, die den beiden größten Parteienfamilien der EU angehören (der Volkspartei und den Sozialdemokraten), haben eine totale Niederlage einstecken müssen. Sie haben nicht einmal die Fünfprozenthürde geschafft und werden kein Geld für den Wahlkampf bekommen, weshalb den Kandidaten der persönliche Bankrott droht. So wird der zweite Wahlgang am 24. April zu einer Art Referendum zur Zukunft der EU.“
Neue Spaltung in Volk und Elite
Frankreich scheint nach dem ersten Wahlgang dreigeteilt in die Lager Macron, Le Pen und Mélenchon. Die traditionellen Linien sind dagegen bedeutungslos geworden, stellt Contrepoints fest:
„Die Links-Rechts-Spaltung wurde durch die Spaltung in ein elitäres Lager und ein Lager des Volkes ersetzt. Der Volksblock besteht wiederum aus einem nationalistischen und einem kommunistischen Flügel, was dem elitären Block, den Emmanuel Macron in der ersten Wahlrunde vertrat, einen Vorteil verschafft. Die alte Spaltung zwischen PS [Parti Socialiste] und LR [Les Républicains] gibt es nicht mehr. Zwischen einer Anne Hidalgo mit 2 Prozent und einer Valérie Pécresse mit 4,7 Prozent hat es die alte politische Klasse versäumt, die fünf Jahre in der Opposition zu nutzen, um sich zu erneuern.“
Klassische Parteien gibt es nicht mehr
In den vergangenen fünf Jahren hat sich das politische Leben Frankreichs grundlegend verändert, kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Cohen in L'Obs:
„Zunächst diese eindeutige Feststellung: Die traditionellen politischen Parteien spielen in Frankreich keine Rolle mehr. Macron, Le Pen, Mélenchon und Zemmour ist gemein, dass sie sich keinem echten Nominierungsprozess unterworfen haben. Alle haben eine Partei nach ihren Vorstellungen gegründet (außer Le Pen, die sie geerbt hat), deren einzige Kandidaten sie bislang sind (zusammen mit Jean-Marie Le Pen). Diese Wandlung ist zwei Entwicklungen geschuldet: einer Öffentlichkeit, die keine hohen Behörden mehr erduldet, und einer Entartung der fünften Republik, in der sich alles um die Wahl eines Mannes oder einer Frau dreht.“
Le Pens Russlandnähe vergessen?
Helsingin Sanomat wundert sich, dass Marine Le Pen weiterhin soviel Rückhalt genießt:
„Aus finnischer Sicht ist es erstaunlich, wie schnell die Franzosen Le Pens Verbindungen zu Russland vergessen oder beschlossen haben, sie zu ignorieren. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Thema in den Debatten vor dem zweiten Wahlgang zur Sprache kommt. In Frankreich sind die gleichen Bilder von den Schrecken des Krieges in der Ukraine zu sehen wie hier, und sie sollten niemanden gleichgültig lassen. In freien Demokratien wählen die Bürger natürlich so, wie sie es für richtig halten. Wenn sie in die Wahlkabine gehen, sollten sie für ihre Entscheidung aber ein realistisches Bild der Kandidaten haben.“
Enttäuschte Linkswähler
Der Amtsinhaber wird bei der Stichwahl diesmal nicht mit den Stimmen der Linken rechnen können wie noch 2017, meint der Politologe Alexandru Gussi in Contributors:
„Vor fünf Jahren hat Macron selbst eine populistische, aber pro-europäische Anti-System-Kampagne gefahren - es wurde von einem Extremismus der Mitte gesprochen, der sich gegen Politiker richte. Das hinterlässt Spuren, Macron hat viele enttäuscht - darunter vor allem seine Wähler, die von der Linken kamen und die, dass zeigt uns die Wähleranalyse, zu Mélenchon gewechselt sind. Nur wenige werden am 24. April zu Macron zurückkehren. Die Frustration der Linkswähler von Macron ist umso größer, da dass Versprechen vor fünf Jahren genau darin bestand, den Vormarsch der Rechtsextremen einzudämmen.“
Frankreich braucht Stärkung des Parlaments
Das beste Angebot, das Macron den enttäuschten Wählerinnen und Wählern machen kann, wäre eine tiefgreifende Wahlrechtsreform, meint ARD-Paris-Korrespondentin Julia Borutta auf tagesschau.de:
„[W]eg von der präsidialen Republik mit einem schier allmächtigen Präsidenten, hinter den sich alle scharen müssen, und hin zu einem gestärkten Parlament mit Verhältniswahlrecht. Das würde dazu führen, dass die politischen Überzeugungen der Französinnen und Franzosen endlich angemessen in der Nationalversammlung vertreten wären, auch die extremen - eingebunden in die parlamentarische Kontrolle. Für den jupiterhaften Macron wäre dies ein schmerzhafter Schritt. Aber am Ende ist es der einzige Weg dafür zu sorgen, dass solch ein Duell, wie es Frankreich jetzt erneut bevorsteht, nie wieder vorkommt.“
Frexit oder Führung?
Für welchen Kandidaten sich die Franzosen im zweiten Wahlgang entscheiden, wird Auswirkungen auf die Rolle Frankreichs in der Welt haben, mahnt Slate:
„Der springende Punkt ist: Wollen wir in Europa bleiben und weiterhin eine Führungsrolle anstreben, die uns die anderen Europäer, häufiger als uns gesagt wird, zugestehen? Oder wollen wir Frankreich auf den verhängnisvollen Weg führen, den Boris Johnson aufgezeigt hat – ein Frexit, der vorgibt keiner zu sein? Wollen wir unseren Bündnissen den Rücken kehren, während Diktator Putin den Krieg in das Herz Europas zurückbringt und versucht, die rechtsextremen Bewegungen auf dem Alten Kontinent um sich zu scharen? Mit der Abstimmung am 24. April werden wir dem Rest der Welt sagen, wer wir sein wollen.“
Frankreich kann nicht Ungarn sein
El Mundo hofft auf die Vernunft der Wählenden:
„Mit einem Rekordwert von 26 Prozent bei Redaktionsschluss steht die Wahlenthaltung wieder im Mittelpunkt, und Beobachter bringen sie mit den guten Chancen von Le Pen in Verbindung. Man sollte jedoch beachten, dass die Hauptverlierer, von der Linken Mélenchons – die satte 20 Prozent der Stimmen erhielt – , bis hin zu Pécresse, Jadot und Hidalgo, die Wähler dazu aufgerufen haben, nicht für Le Pen zu stimmen. Sie bringen sie nach wie vor mit einem antieuropäischen und fremdenfeindlichen Projekt in Verbindung, auch wenn sie ihren Diskurs entschärft und sich auf die Wirtschaft konzentriert hat. Die Wähler müssen im zweiten Wahlgang Verantwortung übernehmen: Frankreich kann nicht Ungarn sein. So ein Experiment ist einfach unzulässig.“
Es wird nicht leicht für Macron
Die Wochenzeitung Documento meint, dass der amtierende Präsident in diesem Duell gegen Le Pen schlechtere Chancen hat als noch 2017:
„Seine Amtszeit hat ihn kommunikativ zermürbt, denn in den Augen des Durchschnittsfranzosen ist er der 'Präsident der Reichen'. Macron setzt also eher auf die Stimmen der in den Städten lebenden Mittelschicht, im Gegensatz zu Le Pen, die mit ihrer populistischen Rhetorik versucht, die in der Peripherie lebenden unteren sozialen Schichten zu erreichen. Um es einfach auszudrücken, kann Macron nicht sagen: 'Wählt mich, um Le Pen zu verhindern', denn die Franzosen haben keine Angst vor einer Präsidentschaft von Le Pen.“
Le Pen nur scheinbar gewandelt
Marine Le Pen als Präsidentin wäre schlecht für Europa, bangt Sme:
„Le Pen ist immer noch eine zerstörerische Kraft, die, wenn sie gewinnt, das gefährden würde, was das demokratische Europa derzeit am meisten braucht - Einheit und Zusammenarbeit im Konflikt in der Ukraine, beim wirtschaftlichen Aufschwung nach einer Pandemie oder beim Übergang zu einer grünen Wirtschaft. ... Noch nie war die extreme Rechte so nah dran, die französische Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Und das ist in Krisenzeiten keine angenehme Aussage. Denn dass Le Pen versucht, das Image einer pro-russischen und anti-islamischen Politikerin zu mäßigen, bedeutet nicht, dass sich ihre politische Natur geändert hat.“
Anti-systemische Kräfte sind stark
Corriere della Sera warnt:
„Die souveränistische Stimme brüllt lauter denn je. Und dies in der Heimat der Aufklärung, der Vernunft, der universellen Menschenrechte, der planetarischen Brüderlichkeit. ... Die überwältigenden 24 Prozent, die Marine Le Pen gestern in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erzielte, sind mehr wert als die Zweidrittelmehrheit ihres Freundes Viktor Orbán. Nicht zuletzt, weil zu Marine Len Pens Befürwortern noch die der extremen Rechten von Éric Zemmour und der radikalen Linken von Jean-Luc Mélenchon hinzukommen, die zusammen mit den trotzkistischen und royalistischen Gruppierungen die systemfeindliche Wählerschaft über die verhängnisvolle Schwelle von 50 Prozent bringen.“
Land muss sich schwierigen Fragen stellen
Laut Rzeczpospolita ist die Aussicht auf einen Sieg Le Pens bei einer Wiederwahl Macrons noch nicht gebannt:
„Selbst wenn Macron aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, wird Frankreich sich schwierigen Fragen stellen müssen. Der Präsident selbst sagte zu Beginn seiner Amtszeit, dass Le Pen 'in fünf oder zehn Jahren' an die Macht kommen werde, wenn es ihm nicht gelinge, das Land tiefgreifend umzugestalten. Auch muss sich die Linke zusammenschließen: Wenn sie dies vor der jetzigen Abstimmung getan hätte, wäre Le Pen nicht in die zweite Runde gekommen. Denn die Gefahr besteht nach wie vor: Im Jahr 2027 wird die Chefin der extremen Rechten noch keine 60 Jahre alt sein.“