Wahlsieg der FPÖ: Was heißt das für Europa?
Die rechtspopulistische FPÖ ist bei der Parlamentswahl in Österreich erstmals stärkste Kraft geworden. Mit 29,2 Prozent der Stimmen liegt sie vor der konservativen ÖVP (26,5 Prozent) und den Sozialdemokraten (21,1 Prozent). Die bisherige Koalition aus ÖVP und Grünen (8 Prozent) wäre ohne Mehrheit. Europas Presse analysiert die Gründe für den FPÖ-Erfolg, entwirft mögliche Szenarien und schaut besorgt auf die Auswirkungen für Europa.
Bedrohung für rechtsstaatliche Werte
Der Wahlsieg der FPÖ in Österreich wirkt sich gefährlich auf die EU-Ebene aus, fürchtet De Volkskrant:
„Die FPÖ ist prorussisch, wodurch die europäische Unterstützung für die Ukraine weiter unter Druck gerät. Auch die Migrationspolitik der EU droht weiter nach rechts zu rücken. ... Die EU ist als Verbund liberaler Demokratien gegründet worden. Durch den Vormarsch illiberaler Parteien wie der FPÖ kommen die Werte der liberalen Demokratie und des Rechtsstaates mit seinen individuellen Grundrechten auf europäischem und nationalem Niveau unter Druck. Damit steht die Identität der EU auf dem Spiel.“
Demokratie lebt von Kooperation
Populisten gelangen trotz Wahlerfolgs nicht automatisch an die Macht, betont Der Standard:
„Ob in den Niederlanden vor einem Jahr, in Belgien oder Frankreich vor dem Sommer, bei den Europawahlen im Juni – überall kündigten antieuropäische Rechte die große Wende an. ... Es zeigt sich: Auch große Wahlerfolge bedeuten noch lange nicht, dass die Übernahme der Macht oder auch nur die Regierungsbeteiligung gelingt. ... Nationalpopulistische Führer werden nicht so leicht Regierungschefs. Wilders wie de Wever und auch der Le-Pen-Adlatus Jordan Bardella scheiterten daran. Am Wahlerfolg der FPÖ besteht kein Zweifel. Aber für einen politischen Erfolg braucht es in der Demokratie mehr. Man muss politische Gegner als Partner gewinnen können.“
Ein Weckruf für Brüssel
Brüssel darf jetzt nicht einfach 'business as usual' machen, so The Guardian:
„Erstaunlich zuversichtliche EU-Beamte haben darauf hingewiesen, dass die politische Mitte die Kontrolle über das Europäische Parlament behält. ... Solche Zusicherungen klingen hohl. Die Krise der Lebenshaltungskosten und der wirtschaftliche Stillstand sorgen für Unzufriedenheit und bieten eigentlich nicht wählbaren Parteien eine Bühne und eine Chance. Sie nutzen diese und erzielen Erfolge, indem sie Migranten und Minderheiten zum Sündenbock machen, den grünen Wandel als teure und unnötige Belastung für die weniger Wohlhabenden darstellen und europäische Grundwerte als elitäres Gehabe herabwürdigen. Für diejenigen, die mit der Verteidigung und Förderung dieser Werte betraut sind, ist 'Business as usual' nicht mehr angemessen.“
Extreme Botschaften regen kaum mehr auf
Dass die FPÖ schon seit Jahren den politischen Diskurs in Österreich prägt, hebt das Tageblatt hervor:
„Die Dauerberieselung mit Hassbotschaften auch im öffentlichen Raum hat zu einer allgemeinen Abstumpfung geführt. Wenn die FPÖ von 'Remigration' fabuliert, regt das kaum jemanden wirklich auf. Was bei der AfD in Deutschland immerhin noch für Empörung sorgen würde, gehört in Österreich zum normalen Gang der Dinge. In Österreich ist der politische Rechtsextremismus längst zum Mainstream geworden. Das Resultat zeigt der Sonntag. Eine von ehemaligen Nazis gegründete Partei landet auf dem ersten Platz. Der Rechtsruck in Europa hält an.“
Ein weiteres trojanisches Pferd für Putin
Népszava befürchtet einen wachsenden russischen Einfluss in Europa:
„Wir wollen zwar nicht allen Parteien der Fraktion Patrioten für Europa eine unverhohlene pro-russische Haltung vorwerfen, jedoch zählt die österreichische FPÖ neben [Ungarns Regierungspartei] Fidesz zu den russlandfreundlichsten Mitgliedern. ... Als Herbert Kickl, der heutige FPÖ-Vorsitzende, noch Innenminister war, wollte er einen Schattennachrichtendienst einrichten. Im Nachhinein stellte es sich heraus, dass diese Organisation von einer Person geleitet worden wäre, die für Russland spioniert hatte. Sollte Kickl der nächste österreichische Bundeskanzler werden, wäre dies ein Sicherheitsrisiko für ganz Europa.“
Ungarns Blockadepolitik könnte Schule machen
Mögliche Konsequenzen für die Geschlossenheit der EU befürchtet Polityka:
„Sollte es Kickl tatsächlich gelingen, Bundeskanzler zu werden, wäre Viktor Orbán ebenfalls ein großer Gewinner der Wahl. Seine Patrioten für Europa wurden als Fraktion im EU-Parlament geschaffen, aber auch als Klub aktueller und künftiger Regierungschefs, die dem ungarischen Regierungschef auf der Ebene des Europäischen Rates eine Blockademacht verschaffen sollen. Bisher hat Orbán Initiativen, die ihm missfielen, meist allein blockiert. Jetzt würde er einen wichtigen Verbündeten gewinnen – Ursula von der Leyen und António Costa müssten erheblich mehr Kunststücke machen. Sie müssten nämlich nicht nur einen, sondern mindestens zwei EU-Staats- und Regierungschefs überzeugen - wahrscheinlich mit Gegenleistungen.“
EU braucht schnell neue Regeln
Das Prinzip der Konsensentscheidungen gehört überarbeitet, fordert Ilta-Sanomat:
„Ungarn hat es schon allein geschafft, EU-Entscheidungen über die Unterstützung der Ukraine mehrmals zu verzögern, und wenn die Rechtsextremen, die mit Russland sympathisieren, in anderen EU-Ländern stärker werden, besteht die Gefahr, dass der EU-Entscheidungsprozess, der Einstimmigkeit erfordert, vollständig blockiert wird. Der Wahlsieg der österreichischen FPÖ ist eine dringende Ermahnung an die EU, ihre Entscheidungsprinzipien zu reformieren und bei wichtigen Themen von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen. Wo die Sicherheit Europas auf dem Spiel steht, dürfen einzelne Mitgliedstaaten - und extremistische Bewegungen – nicht querschießen können.“
Bulgarien und Rumänien müssen zittern
Club Z sorgt sich um die Aufnahme Bulgariens in den Schengenraum, die Österreich lange blockiert hatte:
„Bulgarien und Rumänien erleiden große wirtschaftliche Verluste aufgrund der Wartezeiten an den Landgrenzen. Aus diesem Grund werden sowohl Bukarest als auch Sofia die Kabinettsbildung in Österreich aufmerksam verfolgen. ... Die FPÖ hat die Wahlen mit Parolen wie 'keine Ausländer mehr' und 'vollständige Grenzschließung' gewonnen. Dies lässt den Gedanken an einen raschen Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens illusorisch erscheinen. Trotzdem ist noch nicht alles verloren. Für den 10. Oktober wird erwartet, dass Ungarn, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, beiden Ländern die volle Aufnahme anbietet - so zumindest das Versprechen.“
Erfolg des Zweite-Reihe-Manns
Die Presse analysiert das FPÖ-Spitzenresultat und dessen Außenwirkung:
„Herbert Kickl ist es gelungen, das Vorhaben Jörg Haiders umzusetzen: nämlich die einst unantastbaren Großparteien SPÖ und ÖVP mit einem Rekordergebnis als stärkste Kraft abzulösen. Dass ausgerechnet der Zweite-Reihe-Mann Kickl diesen historischen Erfolg einfährt, ist erstaunlich und folgerichtig zugleich. ... Die FPÖ ist damit unabhängig vom Spitzenkandidaten das Sammelbecken für eine inhomogene Gruppe der Unzufriedenen, Systemgegner und/oder Ewiggestrigen. ... Von außen bleibt Österreich trotz seiner schmerzvollen Geschichte Vorreiter für den Aufstieg der populistischen Rechten, die absichtsvoll mit Tabus spielt, diese bricht und eine unklare Haltung zu Grundpfeilern von Demokratie und Rechtsstaat zeigt.“
Eine Überraschung ist das nicht
Die Ausgangslage für die ÖVP hätte ungünstiger nicht sein können, meint Der Standard:
„Die Menschen sind unzufrieden, ihr Blick auf die Zukunft ist pessimistisch. So gesehen ist das Ergebnis der ÖVP keine Überraschung. ... Spitzenkandidat Karl Nehammer hat solide TV-Auftritte absolviert, er gab den Erklärer der Nation. Während der Hochwasserkatastrophe gab er den unpeinlichen Krisenmanager. Das war ein Pluspunkt. Inhaltlich hat die ÖVP aber vor allem bei der Bekämpfung der Teuerung nicht überzeugt. Beim Thema Zuwanderung ist man noch weiter nach rechts gerückt: Wer in sein Wahlprogramm schreibt, Asylsuchenden sollten alle Wertgegenstände abgenommen werden, ist programmatisch von der FPÖ kaum zu unterscheiden. Ausgezahlt hat sich das nicht: Wer das für okay hält, wählt längst die FPÖ.“
Die ÖVP trägt die Verantwortung
Selbstreflexion bei der bisherigen Kanzlerpartei fordert hvg:
„Wenn eine Partei für den Aufstieg der FPÖ zur Verantwortung gezogen werden kann, dann ist es die ÖVP, die seit mehr als 30 Jahren kontinuierlich an der Regierung ist. Freilich ist es nicht so einfach, denn die Rechtsextremen gewinnen weltweit an Stärke, das Vertrauen in den Staat nimmt überall ab, die FPÖ hat erst von Covid, dann von Inflation, Energie- und Migrationskrise profitiert. Ein bisschen Selbsthinterfragung würde der ÖVP aber dennoch nicht schaden, das hat auch ihr Kanzlerkandidat (und jetziger Bundeskanzler) Karl Nehammer zugegeben. Die starke Mitte, mit der die ÖVP auf ihren Wahlplakaten warb, ist eingebrochen.“
Keine "Brandmauer" gegen rechts
Rzeczpospolita vergleicht den Umgang mit der radikalen Rechten in Deutschland und Österreich:
„Der Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass die Alternative für Deutschland (AfD) bisher keine Chance hat, die Bundestagswahl zu gewinnen, da sie auf Bundesebene hinter der CDU/CSU liegt. Gleichzeitig ist die AfD in Deutschland der Ausgrenzung durch die anderen Parteien ausgesetzt. In Österreich ist die Situation anders. Zwar wollen die linken Parteien nichts mit den Rechtsextremen zu tun haben, doch die ÖVP ist zur Zusammenarbeit bereit.“
Russland-Freund Kickl wird nicht Kanzler
G4Media.ro warnt und beschwichtigt zugleich:
„Der FPÖ-Chef ist wie andere ultrarechte/radikale/populistische Parteiführer in Europa Russland-freundlich und lehnt eine Unterstützung der Ukraine ab. ... Zudem hat die FPÖ unter Kickls Führung eine zunehmend revisionistische Haltung zur nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes eingenommen und leistet einem quasi-rassistischen und islamfeindlichen Diskurs Vorschub. Aber trotz Platz eins für die FPÖ ist ein Einzug Kickls ins Kanzleramt unwahrscheinlich. Karl Nehammer, Chef der einzigen Partei, die (wie schon 1999 und 2017) bereit ist, mit der FPÖ zu koalieren, lehnt Kickl als Kanzler kategorisch ab. … Auch hat Kickl einen großen Feind in Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einem überzeugten Pro-Europäer, der die verfassungsmäßigen Rechte hat, einen Kanzlerkandidaten auch abzulehnen.“
Ungeeignet für Regierungsverantwortung
Auch die Neue Zürcher Zeitung glaubt nicht, dass die FPÖ ins Bundeskanzleramt einzieht:
„Zum einen hat sich die FPÖ unter Kickl inhaltlich radikalisiert. Das Wahlprogramm enthält Punkte, die für Österreich einen Systembruch darstellten. Kickl strebt ganz offen eine 'Orbanisierung' an. Außenpolitisch will er das Land auf eine antieuropäische und kremlfreundliche Linie bringen. Zum anderen kann man ganz nüchtern feststellen, dass der Leistungsausweis der Partei in Regierungsverantwortung miserabel ist. ... 'Genug ist genug', erklärte vor fünf Jahren sogar der damalige Kanzler Sebastian Kurz. ... Inhaltlich war die Bilanz seiner Regierung mit den Freiheitlichen dürftig: Die meisten Reformen blieben Stückwerk, wurden gerichtlich aufgehoben oder erwiesen sich als PR-Gag.“
Erstmals wohl Drei-Parteien-Koalition
FPÖ und Grüne bleiben bei der Bildung einer Regierungskoalition wohl außen vor, schreibt Politik-Stratege Ruslan Rochow auf Facebook:
„Nach den Parlamentswahlen in Österreich steht ein langwieriger Prozess der Koalitionsverhandlungen bevor. Eine erneute Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen scheint aufgrund fehlender Stimmen sowie erheblicher Differenzen zwischen den beiden derzeitigen Koalitionspartnern unmöglich. Es sieht danach aus, dass zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs eine Drei-Parteien-Koalition gebildet wird – zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Die Liberalen könnten die Grünen als Juniorpartner ersetzen, allerdings in einer breiteren Koalition.“