Polen übernimmt EU-Ratsvorsitz: Wohin geht die Reise?
Mit dem Motto "Sicherheit, Europa!" hat Polen den Vorsitz im Rat der EU übernommen. Für die kommenden sechs Monate leitet und prägt Warschau somit die Sitzungen des Gremiums, in dem die Regierungen der EU-Staaten gemeinsam Entscheidungen treffen oder vorbereiten. Europas Presse betrachtet die polnische Ratspräsidentschaft auch im Kontrast zur ungarischen, die für heftige Kontroversen gesorgt hatte.
Tusks Europa gegen Orbáns Europa
Eine besondere Symbolik in der Staffelübergabe von Budapest nach Warschau sieht Piotr Buras vom Thinktank European Council on Foreign Relations in einem Beitrag für Polityka:
„Hier in Zentraleuropa prallen zwei Visionen real aufeinander: das Europa von Tusk und das Europa von Orbán. Diese beiden Spitzenpolitiker symbolisieren am besten die konkurrierenden Werte, Interessen und Ansätze, die im Mittelpunkt des Konflikts um die Seele Europas stehen. Und obwohl Viktor Orbán am 1. Januar 2025 den Staffelstab der EU-Ratspräsidentschaft an Donald Tusk übergibt, steht dieser Richtungsstreit erst am Anfang.“
Trumpversteher am Steuer
Die besondere Rolle Polens in den Beziehungen zu den USA betont Gintautas Ramza, Analyst an der Litauischen Militärakademie, in Lrytas:
„Polen gehört zu den wenigen Ausnahmen in Europa, die bereits während der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump erkannten, in welche Richtung sich die US-Außenpolitik entwickelt. Heute ist klar, dass der neue strategische Kurs der USA dem klassischen Ansatz Ronald Reagans 'Frieden durch (militärische) Stärke' folgt. Praktisch bedeutet das, dass eine rasante Aufrüstung erforderlich ist und nur jene Staaten, die dies umsetzen, von den USA respektiert werden.“
Polen wird zunehmend zur Führungsmacht
Hospodářské noviny sieht der polnischen Ratspräsidentschaft optimistisch entgegen:
„Tusk ist ein erfahrener europäischer Kämpfer. Er war fünf Jahre lang Präsident des Europäischen Rats und stand drei Jahre lang an der Spitze der größten politischen Kraft in der EU – der Europäischen Volkspartei. ... Polen entwickelt sich zu einer Führungsmacht der Europäischen Union. Zumal die Position des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgrund der innenpolitischen Probleme geschwächt ist. Und man erwarten kann, dass Deutschland nach der vorgezogenen Wahl mindestens bis zum Sommer in Koalitionsverhandlungen stecken wird.“
Auch Handelsbeziehungen werden Knackpunkt
Auch Krytyka Polityczna sieht in der Beziehung zu Washington eine besondere Herausforderung:
„Neben der Situation in der Ukraine und dem damit verbundenen Sicherheitsdilemma könnten sich die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA als eines der Hauptprobleme der Ratspräsidentschaft erweisen. ... Gute sicherheitspolitische Beziehungen zwischen Polen und den USA bedeuten nicht zwangsläufig eine starke Position Warschaus bei der Aushandlung der Handelsbeziehungen. Wie auch immer sich das Verhältnis zu Trump gestaltet; die polnische EU-Ratspräsidentschaft kann von dem Zwang bestimmt werden, auf diverse Streitthemen zu reagieren, die die Partner auf beiden Seiten des Atlantiks auseinandertreiben.“
Budapest so unproduktiv wie niemand zuvor
Die ungarische Ratspräsidentschaft war unterm Strich dürftig, kritisiert hvg:
„Der ungarische Ratsvorsitz hat nur neun Gesetzgebungsprozesse zum Abschluss geführt. Das heißt, dass dies die Zahl der konkreten neuen Gesetze ist, über die man sich mit dem EU-Parlament als Mitgesetzgeber einigen konnte. ... Es ist fairer, diese Zahl 9 mit solchen Ratspräsidenschaften zu vergleichen, die mit ähnlichen Übergangsperioden nach Europawahlen zusammenfielen. Nach Angaben des Parlaments haben die Finnen 2019 unter solchen Umständen 23 Prozesse abgeschlossen, die italienische Ratspräsidentschaft 2014, fünf Jahre zuvor, 20. Kein Ratsvorsitz war jemals so unproduktiv wie der ungarische.“
Wichtige Fortschritte erzielt
Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet sieht hingegen konkrete Errungenschaften:
„Der wichtigste Erfolg des ungarischen EU-Ratsvorsitzes ist, dass es gelungen ist, in Budapest einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit verabschieden zu lassen. ... Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist das Steuerabkommen, das die ungarische Ratspräsidentschaft durchsetzen und damit eine jahrelange Debatte in der EU beenden konnte. ... Summa summarum: die ungarische EU-Ratspräsidentschaft hat während ihrer sechsmonatigen Arbeit große Fortschritte in Wirtschaftsbereichen erzielt, über die zuvor jahrelang nur gestritten wurde.“