Ukraine-Gipfel: Worauf könnte sich Europa einigen?

Der Ukraine-Gipfel in Paris am Montag ist ohne klare Ergebnisse zu Ende gegangen. Die Spitzen von sieben EU-Ländern, Großbritannien, EU und Nato wollten vor dem russisch-amerikanischen Treffen in Riad eine europäische Position zu einer Friedenslösung im Ukraine-Krieg finden. Im Zentrum der Diskussionen stand die Frage europäischer Friedenssicherungstruppen. Kommentatoren analysieren die Sachlage und die Außenwirkung des Gipfels.

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Público (PT) /

Im Westen nichts Neues

Público zeigt sicht enttäuscht:

„Das Mindeste, was man von Paris hätte erwarten können, ist, dass sich die anwesenden europäischen Staats- und Regierungschefs zu zwei oder drei dringenden Maßnahmen verpflichten: Eine rasche Erhöhung der Verteidigungsausgaben. ... Mittel zur Erhöhung der Unterstützung für die Ukraine finden, um sie in eine günstigere Position für künftige Verhandlungen zu bringen. Eine Verpflichtung zur Aufstellung einer militärischen Truppe, die der Ukraine im Falle eines Friedensabkommens Sicherheitsgarantien bietet. ... Europa läuft gegen die Zeit an und gegen die Illusionen der Vergangenheit. Ist es vereint genug? Wohl kaum. Paris hat wenig Neues gebracht.“

La Stampa (IT) /

Mal schnell gezeigt, wie man es nicht machen sollte

Den Dissens auch noch mit einem improvisierten Gipfel zur Schau zu stellen, war für La Stampa die falsche Taktik:

„Die Behauptungen von US-Vizepräsident J. D. Vance über das angebliche europäische Taktik- und Werte-Desaster wurden von einem französischen Präsidenten beantwortet, dessen Zustimmungswerte sich im freien Fall befinden. ... Zum Gipfel kamen wenige, höchst unterschiedliche Länder (eines ist nicht einmal mehr in der EU), unter den Teilnehmern ein angeschlagener Bundeskanzler, dessen Erklärungen höchstens noch eine Woche gelten. ... Es ist gut, dass es Meinungsvielfalt gibt, es ist gut, dass es Formeln für verschiedene Geschwindigkeiten der Konfrontation gibt, aber nichts scheint so unpassend zu sein wie der Gipfel, der gerade in Paris zu Ende gegangen ist.“

El Mundo (ES) /

Jetzt die Kontrolle übernehmen

Auch El Mundo wünscht sich mehr Einigkeit und Stärke:

„Der Gipfel vermittelte ein Bild halbherziger Einigkeit, das Europa gegenüber Trump schwächt, der ja nach dem Recht des Stärkeren regiert. Die Frage zur Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine machte das deutlich: Der britische Premier Keir Starmer zeigte sich bereit, der Koalition der Willigen beizutreten, Deutschland, Polen und Spanien zögerten. In Paris wurde Europa klar, dass es die Kontrolle über seine eigene Sicherheit übernehmen muss. ... Die EU muss dringend ihre Verteidigungsinvestitionen beschleunigen und die politische Einheit stärken, die durch die Krisen in Frankreich und Deutschland geschwächt wurde. Die Bildung einer starken Regierung in Berlin wird der Schlüssel zu dieser Führung sein.“

The Independent (GB) /

Große Versprechen, geringe Kapazität

Mit seiner Zusage, Truppen in die Ukraine zu schicken, lehnt sich der britische Premier ziemlich weit aus dem Fenster, findet The Independent:

„Starmer hofft, Großbritannien ins Zentrum einer alliierten Friedensmission zu rücken. ... Die große Frage ist, ob unsere Streitkräfte groß genug und gut genug ausgerüstet sind, um ein ernstzunehmendes Kontingent für eine Friedenstruppe entlang der Waffenstillstandslinie zu stellen. ... Es kann katastrophal enden, großspurig über Großbritanniens Führungsrolle zu reden, wenn unsere Streitkräfte nicht mehr als ein winziges Kontingent in die Ukraine schicken können und keine Verstärkung haben, falls etwas schief geht. Friedenssicherung sollte die Fortsetzung einer effektiven Politik sein, nicht ihr Ersatz.“

15min (LT) /

Nach vorne blicken statt zurück

Politologe Ramūnas Vilpišauskas ermuntert in 15min zum beherzten Handeln:

„Es ergibt wenig Sinn, immer wieder zu betonen, dass alles bereits gestern hätte geschehen müssen. Jetzt gilt es, koordinierte Maßnahmen zu finden. Sollte keine Einigung unter allen EU-Staaten möglich sein, könnte eine Gruppe williger Länder – Deutschland, Frankreich, Polen sowie die nordischen und baltischen Staaten – vorangehen. Die geopolitische Krise könnte für die EU auch ein Anstoß sein, ihre Wirtschaftspolitik zu reformieren, Hindernisse im Binnenmarkt abzubauen und mehr Mittel in die Verteidigung zu kanalisieren. ... Dieses Jahr könnte entscheidend sein.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Eigene Verteidigung nicht vergessen

Helsingin Sanomat zeigt Verständnis für die abwartende Haltung einiger europäischer Staaten, was die Entsendung europäischer Truppen in die Ukraine betrifft:

„Auch in Finnland wird die Debatte über die Truppen bald beginnen. Die Überlegungen sind bereits im Gange, aber es ist schwierig, schon jetzt Entscheidungen zu treffen. ... Sollten die USA die europäischen Streitkräfte völlig ihrem Schicksal überlassen, könnten diese zu einem Übungsziel oder zu einem politischen Spielball für die Russen werden. Finnland ist nicht das einzige Land, das sich überlegen muss, ob die Ukraine auf Kosten seiner eigenen Verteidigungskapazitäten geschützt werden kann.“

Libération (FR) /

Europäer haben noch ein paar Trümpfe

Noch kann Europa Einfluss nehmen, schreibt Libération:

„Selbst wenn es schon spät ist, bleibt den Europäern noch Zeit zu reagieren, zusammenzurücken und endlich eine europäische Verteidigung aufzubauen. Der Brite Keir Starmer scheint bereit, in den Schoß Europas zurückzukehren, Emmanuel Macron hat viele Fehler, ist aber ein leidenschaftlicher Europäer, der künftige deutsche Kanzler kann nicht schlaffer als Olaf Scholz sein (hoffen wir, dass die extreme Rechte am Sonntag keinen Überraschungsdurchbruch schafft) und Donald Tusks Polen legt sich ins Zeug, militärisch wie wirtschaftlich. Zudem wird China, das skeptisch auf die sich vollziehende Annäherung von USA und Russland blickt, gewiss nicht regungslos bleiben. Europa hat also noch einige Trümpfe in der Tasche. Es muss sie jedoch sehr schnell zücken.“

NRC (NL) /

Sich rüsten oder schutzlos werden

NRC fordert Überlebensreflexe bei den Europäern ein:

„Das späte Erwachen von Europa in dieser neuen Welt fordert nun seinen Tribut. .. Die offensichtliche Schlussfolgerung nach den jüngsten Ereignissen ist, dass die USA ihren europäischen Verbündeten nicht länger eine Sicherheitsgarantie geben. ... Um nicht aus der Weltgeschichte abgeschrieben zu werden, müssen europäische Länder in viel größerem Maßstab in eine europäische Verteidigung und eine europäische Verteidigungsindustrie investieren. Sie müssen nicht nur die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat garantieren, sondern Europa in einer sich neu formierenden Weltordnung weniger angreifbar machen.“

Český rozhlas (CZ) /

Die Geschichte darf sich nicht wiederholen

Český rozhlas warnt davor, ohne die Ukraine über die Ukraine zu entscheiden:

„Wir Tschechen wissen aus eigener Geschichte, dass derlei nicht gut ausgeht. Am 29. September 1938 saß die Delegation aus Prag in einem Nebenraum in München, als Italien, Frankreich und Großbritannien mit Hitler vereinbarten, dass die Tschechoslowakei ihm das Sudetenland übergeben und Frieden herrschen würde. Nicht einmal ein halbes Jahr später war Hitler in Prag auf der Burg und ein weiteres halbes Jahr später begann er den Zweiten Weltkrieg. Um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, sollte die EU nicht zulassen, dass Russland seine Grenzen verschiebt. Was sie nur tun kann, wenn sie sich zusammenschließt. ... Ansonsten bleibt nur übrig, die Hacken zusammenzuknallen.“

centrulpolitic.ro (RO) /

Sicherheitsgarantien sind das A und O

Der Schlüssel einer künftigen Friedenslösung liegt nicht in der Frage ukrainischer Gebietsabtretungen, meint Politikanalyst Valentin Naumescu in centrulpolitic.ro:

„Dieser Krieg hat einen Aggressor (Russland) und ein Opfer (Ukraine) und die Friedensvereinbarungen müssen diese Verantwortung für die Invasion widerspiegeln. … Dabei sind nicht die Territorien das Wichtigste, wie viele meinen, sondern die Sicherheitsgarantien. Sie sind viel wichtiger als die Gebiete, weil es hier um die Zukunft der Ukraine geht. ... Das versteht auch Präsident Trump, wenn er von einem 'anhaltenden Frieden' spricht. Wir sollten nicht vergessen, dass die von Frankreich und Deutschland in der Ära Merkel-Hollande ausgehandelten Minsker Abkommen (2014 und 2015) eben ein Misserfolg waren, weil sie der Ukraine keine Sicherheitsgarantien boten.“

Večernji list (HR) /

Eine Überlebensfrage

Večernji list skizziert einen Scheideweg:

„Falls Trump meint, dass Begriffe, die einst gerade von den USA geprägt wurden, – wie die 'freie Welt' und die Unantastbarkeit der Demokratie – nun der Vergangenheit angehören, dann trennen sich seine Wege von denen Europas definitiv. Denn bei allen Unzulänglichkeiten kann die EU bei Fragen der Unverletzlichkeit der Grenzen und Belohnung von Aggressoren nicht nachgeben, denn das ist eine Frage des Überlebens.“