Brics-Gipfel: Entsteht ein Gegengewicht zum Westen?
Bis Donnerstag treffen sich die Brics-Staaten in Johannesburg. Ziel sei die Suche nach veränderten globalen Machtstrukturen, erklärte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor. Neben den Mitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen mehr als 30 Länder aus Afrika, Lateinamerika und Asien teilnehmen und teilweise auch beitreten. Kommentatoren sehen die Aufbruchstimmung durch Differenzen getrübt.
Abgesang auf die bestehende Ordnung ist verfrüht
Der Diagnose vom Aufstieg einer neuen Supermacht steht noch etwas entgegen, gibt die Tageszeitung Welt zu bedenken:
„[W]irtschaftliche Macht führt nicht zwingend zu politischer. Dafür sind die Brics-Staaten viel zu disparat. ... Hinzu kommt, dass die beeindruckenden Wachstumszahlen allein auf China und Indien zurückgehen. Im Vergleich zum Ungleichgewicht innerhalb der Brics-Staaten sind die Unterschiede innerhalb der EU ein Klacks. ... Für einen Abgesang auf den Westen gibt es keinen Grund. Aber ernst nehmen muss man diese Staaten durchaus.“
Kampf um die Vorherrschaft
China und Russland wollen ihren Einfluss auf Kosten der anderen Brics-Mitglieder stärken, was diese jedoch durchschauen, analysiert Jutarnji list:
„Wie erwartet insistieren Russland und China auf Erweiterung. Moskau bietet Brics schon die ersten Kandidaten für eine baldmöglichste Aufnahme an: Belarus, Iran und Venezuela. Der Zufall will es, dass alle drei Staaten große Unterstützer von Putins Regime und seinem Krieg in der Ukraine sind. China möchte Brics dagegen mit kleinen Staaten füllen, in denen es strategische Projekte hat. Damit würden Moskau und China Marionetten bekommen, um den eigenen Einfluss zu stärken, was Indien, Brasilien und die Südafrika erkennen und deshalb versuchen, den Prozess zu verlangsamen. “
Divergenzen lassen sich nicht auf Dauer ignorieren
Bis die Brics-Staaten ein Gegengewicht zum Westen bilden können, ist es noch ein weiter Weg, beobachtet Le Temps:
„Die Brics-Gruppe hat bislang überlebt, indem sie darauf geachtet hat, alle unangenehmen Themen zu meiden. Denn neben strikt wirtschaftlichen Konvergenzen gibt es zahlreiche politische Unstimmigkeiten. ... Wladimir Putins Verzicht auf eine Reise nach Johannesburg, bei der er Gefahr laufen würde, von der internationalen Justiz zur Rechenschaft gezogen zu werden, verdeutlicht die Grenzen des Vorhabens. Der Weg, diesen 'globalen Süden' in ein echtes Gegengewicht zum Westen zu verwandeln, wird lang sein. Peking arbeitet allerdings entschlossen daran.“
Utopie einer multipolaren Weltordnung
Die Hoffnungen, die die Teilnehmer in die Überwindung der westlichen Dominanz legen, sind für Diena eher nicht realistisch:
„Generell gibt es derzeit eine Vielzahl idealisierter Vorstellungen über die multipolare Welt. Erstens, dass das Ende der liberalen Globalisierung kaum Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Nationalstaaten haben wird. Oder mit anderen Worten, dass der Lebensstandard gleich bleiben wird. ... Stattdessen verspricht die Realität für die meisten Länder der Welt (mit Ausnahme der Supermächte) radikal anders und viel unattraktiver zu werden. Derweil ist die unipolare Weltordnung in den Augen der meisten nichtwestlichen Länder seit langem unattraktiv, aber die multipolaren Alternativ-Ideen sind nichts als Zukunftsmusik. “
Die Karten werden neu gemischt
Das in der Nachkriegszeit entstandene Machtgefüge entspricht nicht mehr der aktuellen Lage, beobachtet Adevărul:
„Die Staaten des globalen Südens haben eine Reihe von Führungspersönlichkeiten, die entdeckt haben, dass die geopolitische Situation (die einmal mehr vom Kampf um strategische Ressourcen beherrscht wird) nicht mehr dieselbe ist wie 1945, als die Grundlage der derzeitigen internationalen Ordnung entstand. Damals besaßen die USA 45 Prozent des globalen BIP und fünf europäische Staaten besaßen damals noch den größten Teil Afrikas und einen bedeutenden Teil Asiens.“
Expansion wäre heikel
Eine erweiterte Brics-Gruppe könnte zum Problem werden, mahnt Corriere della Sera:
„Ein Punkt auf der Tagesordnung mit unmittelbaren Folgen ist die vorgeschlagene Erweiterung des 2009 gegründeten Blocks. ... Mehr als zwanzig Länder sollen die Aufnahme beantragt haben, darunter Saudi-Arabien. Das ist heikel: Jeder Schritt in Richtung einer Aufnahme des zweitgrößten Ölproduzenten der Welt in einen Wirtschaftsblock mit Russland und China würde in einem extrem angespannten geopolitischen Klima zweifelsohne die Aufmerksamkeit der USA und ihrer Verbündeten auf sich ziehen. Es sollte zudem bedacht werden, dass auch Kuba und der Iran an die Tür der Brics klopfen und (derzeit) nur Indien ihren Beitritt verhindert.“
Von Einigkeit weit entfernt
Dass viele weitere Staaten dem Bund beitreten wollen, ist nicht seiner politischen Schlagkraft zu verdanken, analysiert The Times:
„Eine weitgehend dysfunktionale Organisation wird nicht besser oder einflussreicher, nur weil sie mehr Mitglieder gewinnt. Die Brics-Staaten sind im Kern gespalten. Auf der einen Seite stehen drei mehr oder weniger funktionierende Demokratien – Südafrika, Indien und Brasilien -, die eine starke Beziehung zu westlichen Gebern aufrechterhalten wollen. Auf der anderen Seite die beiden verbündeten Autokratien China und Russland. Alle sind sich einig, dass sie die globale Dominanz der USA reduzieren wollen. Doch Indien zum Beispiel sieht sich zunehmend als Rivale Chinas und steht einer Erweiterung der Brics skeptisch gegenüber.“
Ohne gemeinsames Fundament
Auch Radio Kommersant FM sieht vor allem trennende Faktoren:
„Unter den Brics-Staaten gibt es gewisse Widersprüche, unter anderem in zwei Schlüsselbereichen - der Erweiterung der Gruppe und der Einführung einer gemeinsamen Währung. Im ersten Fall ist Brasilien dagegen, im zweiten Fall Indien. Es klappt vorerst nicht, das Monopol des Dollars zu beenden (was kein einfacher Prozess ist) wie auch eine Alternative zur G7 zu schaffen. ... Das Hauptproblem ist jedoch: Es sollte eine verbindende Grundidee geben - ein Fundament. Abneigung gegen Amerika und die westliche Welt reicht für eine funktionierende Integration nicht aus.“
Putin doppelt gedemütigt
Für Rzeczpospolita zählt der russische Machthaber schon jetzt zu den Verlierern:
„Wladimir Putin muss sich mit einer Online-Teilnahme begnügen: Aus Angst vor einer Verhaftung auf Antrag des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine wird er nicht nach Südafrika reisen. Zu dieser Demütigung kommt für den russischen Staatschef noch eine weitere hinzu: Kurz vor dem Treffen in Johannesburg stürzte die Sonde Luna 25 ab, die beweisen sollte, dass Russland bei der Eroberung des Weltraums an vorderster Front steht.“